KAPITEL EINS
Jessie Hunt stellte erschöpft und verschwitzt den letzten Umzugskarton auf den Teppich des Esszimmers. Sie konnte bereits spüren, wie ihre Muskeln sich zu verkrampfen begannen und wusste, dass sie morgen starke Schmerzen haben würde.
Aber als sie zu Kyle hinüberblickte, konnte sie nicht anders, als zu lächeln. Sie waren offiziell eingezogen. Das breite Grinsen in seinem Gesicht sagte ihr, dass er dasselbe dachte. Sein Hemd war durchnässt, aber es war ihr egal, als er auf sie zuging und sie in einer Bärenumarmung umfing.
„Wir wohnen jetzt hier", flüsterte er ihr ins Ohr, bevor er ihren Hals sanft küsste. „Ich denke, wir haben uns zur Feier des Tages einen Drink verdient, was meinst du?"
„Auf jeden Fall", stimmte sie zu.
„Champagner? Bier?"
„Vielleicht ein Bier", schlug Jessie vor, „und ein Gatorade. Ich habe das Gefühl, dass mein Körper jeden Moment zusammenbricht."
„Ich bin gleich wieder da", sagte Kyle und verschwand in der Küche.
Jessie ging vom Esszimmer ins Wohnzimmer, ließ sich auf die Couch fallen und spürte, wie ihr von Schweiß durchnässtes Shirt gegen das Laken drückte, das die Möbel bedeckte. Es war Ende August und selbst in der Küstenregion Orange County von Westport Beach war das Wetter heiß und stickig. Die Temperatur lag leicht über 30 Grad.
Natürlich war das nichts im Vergleich dazu, wie es in der Innenstadt von Los Angeles war, wo sie bis heute Morgen noch gewohnt hatten. Umgeben von Asphalt und Beton und glänzenden Wolkenkratzern verließ Jessie in der Spätsommerhitze oft ihre Eigentumswohnung, und setzte sich Temperaturen von über 37 Grad aus. Im Vergleich dazu fühlte es sich hier wie eine Auszeit an.
Sie erinnerte sich daran, dass dies genau die Art von Grund war, der es rechtfertigen würde, sich von dem vertrauten Leben zu entfernen, das sie in der Stadt geliebt hatte. Sie würde die Aufregung der belebten Straßen von LA gegen eine kühle Meeresbrise eintauschen. Anstelle von angesagten, neuen Restaurants würden sie in Cafés am Strand gehen. Anstatt mit der U-Bahn oder einem Uber zu einer Galerieeröffnung zu fahren, würden sie ein Yachtrennen im Hafen besuchen. Und dann war da noch all das zusätzliche Geld. Es würde einige Zeit dauern, sich daran zu gewöhnen. Aber sie hatte ihrem Mann versprochen, dass sie dankbar für ihr neues Leben sein würde, und sie wollte ihr Wort halten.
Kyle kam mit Bier und Gatorades ins Zimmer. Er hatte sein nasses Hemd ausgezogen. Jessie tat so, als ob sie die beeindruckenden Bauchmuskeln und die Brust ihres Mannes nicht wahrnehmen würde. Wie er es schaffte, diesen Körperbau aufrechtzuerhalten, während er unzählige Stunden in der Firma arbeitete, war für sie unerklärlich. Aber sie beschwerte sich nicht.
Er ging zu ihr, gab ihr die Getränke und setzte sich neben sie.
„Wusstest du, dass es in der Speisekammer einen Weinkühlschrank gibt?", fragte er.
„Ja", sagte sie und lachte ungläubig. „Hast du das nicht bemerkt, als wir uns das Haus die letzten zwei Male angesehen haben?"
„Ich habe einfach angenommen, dass es ein weiterer Schrank ist und hatte ihn bis eben nicht geöffnet. Ziemlich cool, was?"
„Ja, ziemlich cool, schöner Mann", stimmte sie zu und staunte, wie seine kurzen blonden Locken perfekt gestylt blieben, egal wie zerzaust der Rest von ihm war.
„Du bist die Schöne", sagte er, strich Jessies schulterlange hellbraune Haare aus ihren grünen Augen und starrte sie mit seinen eigenen, durchdringenden blauen Augen an. „Es ist gut, dass ich dich aus LA rausgeholt habe. Ich war es leid, dass all diese Fedora-tragenden Hipster dich angemacht haben."
„Die Fedoras waren nicht so toll, muss ich sagen. Ich konnte kaum eines ihrer Gesichter sehen, um entscheiden zu können, ob sie mein Typ sind."
„Das liegt daran, dass du eine sss-Frau bist", sagte er und gab vor, nicht eifersüchtig zu sein und neckte sie. „Jeder Typ unter 1,80 m muss seinen Hals verrenken, um zu einem großen Glas Wasser wie dir aufzuschauen."
„Aber du nicht", murmelte Jessie leise und vergaß plötzlich ihre Schmerzen, als sie ihn näher zu sich zog. „Ich schaue immer zu dir auf, du heißes Ding."
Ihre Lippen streiften gerade gegen seine, als es an der Tür klingelte.
„Das ist jetzt nicht wahr", stöhnte sie.
„Warum machst du nicht auf?“, schlug Kyle vor. „Ich suche mir schnell ein frisches Hemd zum Anziehen."
Jessie ging mit dem Bier in der Hand zur Haustür. Es war ihr kleiner Protest dafür, dass sie mitten in ihrer Verführung unterbrochen worden war. Als sie die Tür öffnete, wurde sie von einer lebhaften Rothaarigen begrüßt, die etwa in ihrem Alter zu sein schien.
Sie war süß, mit einer kleinen Knopfnase, strahlend weißen Zähnen und einem Sommerkleid, das gerade eng genug war, um zu beweisen, dass sie nie eine Pilates-Stunde verpasste. In ihren Händen befand sich ein Tablett mit selbstgemachten Brownies. Jessie konnte nicht anders, als den massiven Ehering an ihrem Finger zu bemerken. Er schimmerte in der späten Nachmittagssonne.
Fast ohne nachzudenken, ertappte sich Jessie dabei, die Frau zu scannen: Anfang dreißig; jung verheiratet; zwei, vielleicht drei Kinder; Hausfrau mit viel Unterstützung; neugierig, aber nicht auf bösartige Weise.
„Hi", sagte die Frau mit leiser Stimme. „Ich bin Kimberly Miner von gegenüber. Ich wollte euch nur in der Nachbarschaft willkommen heißen. Ich hoffe, ich störe euch nicht."
„Hi, Kimberly", antwortete Jessie mit ihrer freundlichsten, neue-Nachbarn-Stimme. „Ich bin Jessie Hunt. Wir haben gerade erst vor ein paar Minuten unseren letzten Umzugskarton reingebracht, das ist also ein perfektes Timing. Und das ist so süß von dir, wirklich! Brownies?"
„Ja", sagte Kimberly und übergab das Tablett. Jessie sah, wie sie so tat, als ob sie das Bier in ihrer Hand nicht sehen würde. „Sie sind irgendwie meine Spezialität."
„Nun, komm rein und trink was mit uns", bot Jessie an, obwohl es das Letzte war, was sie im Moment wollte. „Es tut mir leid, dass das Haus so ein Durcheinander ist, genau wie Kyle und ich. Wir haben den ganzen Tag geschwitzt. Er ist gerade auf der Suche nach einem frischen Hemd. Kann ich dir etwas zu trinken anbieten? Wasser? Gatorade. Ein Bier?"
„Nein, danke. Ich will mich nicht aufdrängen. Du weißt wahrscheinlich noch nicht einmal, in welcher Kiste deine Gläser sind. Ich erinnere mich an unseren Einzug. Wir haben Monate gebraucht. Wo kommt ihr her?"
„Oh, wir haben in DTLA gelebt", sagte Jessie, sah den verwirrten Blick in Kimberlys Gesicht und fügte hinzu: „Downtown Los Angeles. Wir hatten eine Eigentumswohnung im South Park."
„Oh wow, Stadtmenschen", sagte Kimberly und kicherte ein wenig über ihren eigenen Witz. „Was hat euch nach Orange County und in unsere kleine Gemeinde gebracht?"
„Kyle arbeitet für eine Vermögensverwaltungsfirma", erklärte Jessie. „Sie haben hier unten Anfang des Jahres eine Zweigstelle eröffnet, die vor kurzem erweitert wurde. Es ist eine große Sache für sie, denn PFG ist ein ziemlich konservatives Unternehmen. Wie auch immer, sie haben ihn gefragt, ob er helfen würde, sie zu leiten. Wir dachten, es wäre ein guter Zeitpunkt, eine Veränderung vorzunehmen, da wir darüber nachdenken, eine Familie zu gründen."
„Oh, bei der Größe dieses Hauses habe ich angenommen, dass ihr bereits Kinder habt", sagte Kimberly.
„Nein – wir sind nur optimistisch", antwortete Jessie und versuchte, die plötzliche Verlegenheit zu verbergen, die sie überraschenderweise fühlte. „Hast du Kinder?"
„Zwei. Unsere Tochter ist vier und unser Sohn zwei. Ich gehe in ein paar Minuten in die Kindertagesstätte, um sie abzuholen."
Kyle kam und legte einen Arm um Jessie's Taille, während er den anderen ausstreckte, um Kimberly’s Hand zu schütteln.
„Hallo", sagte er herzlich.
„Hallo, willkommen", antwortete sie. „Meine Güte, bei euch beiden werden eure zukünftigen Kinder Riesen sein. Ich fühle mich wie ein Zwerg neben euch."
Es herrschte eine kurze unangenehme Stille, als sich sowohl Jessie als auch Kyle fragten, wie sie reagieren sollten.
„Danke?", sagte er schließlich.
„Es tut mir leid. Das war unhöflich von mir. Ich bin Kimberly, eure Nachbarin aus diesem Haus", sagte sie und zeigte über die Straße.
„Schön, dich kennenzulernen, Kimberly. Ich bin Kyle Voss, Jessies Mann."
„Voss? Ich dachte, es wäre Hunt."
„Er heißt Voss", erklärte Jessie. „Ich heiße Hunt, zumindest für den Moment. Ich habe gezögert, den Papierkram zu erledigen, um ihn zu ändern."
„Ich verstehe", sagte Kimberly. „Wie lange seid ihr schon verheiratet?"
„Fast zwei Jahre", sagte Jessie schüchtern. „Ich habe echte Probleme mit dem Aufschieben. Das könnte erklären, warum ich noch in der Uni bin."
„Oh", sagte Kimberly, deutlich erleichtert, sich von dem heiklen Nachnamensthema zu lösen. „Was studierst du?"
„Forensische Psychologie."
„Wow, das klingt aufregend. Wie lange dauert es noch, bis du offiziell Psychologin bist?"
„Nun, ich bin etwas im Verzug", sagte Jessie und erzählte die obligatorische Geschichte von allen Cocktailpartys, die sie in den letzten zwei Jahren besucht hatten. „Ich habe in der Kinderpsychologie angefangen, als wir noch im Bachelor an der USC waren – dort haben wir uns kennengelernt. Ich habe sogar ein Praktikum für meinen Master gemacht, als mir klar wurde, dass ich damit nicht umgehen kann. Der Umgang mit den emotionalen Problemen der Kinder war mir zu viel. Also habe ich gewechselt."
Sie vernachlässigte es demonstrativ, einige der anderen Details preiszugeben, warum sie das Praktikum abgebrochen hatte. Kaum jemand kannte die Gründe und sie wollte sie sicherlich nicht mit einer Nachbarin teilen, die sie gerade erst kennengelernt hatte.
„Also fällt dir der Umgang mit der Psychologie von Kriminellen leichter als mit der von Kindern?“, fragte Kimberly verblüfft.
„Seltsam, was?" gab Jessie zu.
„Du wärst erstaunt", wandte Kyle ein. „Sie hat dieses Talent, in die Köpfe von Bösewichten vorzudringen. Sie wird irgendwann eine großartige Kriminalpsychologin sein. Jeder potentielle Hannibal-Lektor da draußen sollte besser aufpassen."
„Wirklich", sagte Kimberly und klang ziemlich beeindruckt. „Hattest du es schonmal mit Serienmördern und so zu tun?"
„Noch nicht", gab Jessie zu. „Die meiste Zeit meiner Ausbildung war akademisch. Und mit dem Umzug musste ich die Uni wechseln. Also werde ich ab diesem Semester mein Praktikum bei der UC-Irvine machen. Das ist mein letztes, im Dezember werde ich meinen Abschluss machen."
„Praktikum?“ fragte Kimberly.
„Es ist ein bisschen wie ein Praktikum, nur ist man weniger involviert. Ich werde in ein Gefängnis oder eine psychiatrische Klinik eingeteilt, wo ich Häftlinge und Patienten beobachten und mit ihnen interagieren werde. Darauf habe ich gewartet."
„Die Chance, den Übeltätern in die Augen zu schauen und in ihre Seelen zu blicken", fügte Kyle hinzu.
„Das ist vielleicht ein wenig übertrieben", sagte Jessie und schlug ihn spielerisch auf die Schulter. „Aber letztendlich, ja."
„Das klingt sehr aufregend", sagte Kimberly und klang wirklich fasziniert. „Ich bin sicher, du wirst einige tolle Geschichten zu erzählen haben. Wo wir gerade davon sprechen, du sagtest, ihr zwei habt euch an der Uni kennengelernt?"
„Im Studentenwohnheim für Erstsemester", sagte Kyle.
„Oh," sagte Kimberly. „Beim Wäschewaschen verliebt, so was in der Art?"
Kyle blickte zu Jessie hinüber, und bevor er überhaupt ein Wort sagte, wusste sie, dass er auf ihre Geschichte der Cocktail-Party eingehen würde.
„Die Kurzversion", begann er. „Wir waren Freunde, begannen aber in der Mitte des ersten Semesters zu daten, nachdem sie von einem Idioten versetzt wurde. Er wurde von der Schule geworfen, nicht weil er sie versetzt hat, nehme ich an. Trotzdem ist sie meiner Meinung nach einem Idioten entkommen. Wir haben uns im ersten Semester getrennt, sind aber im dritten Semester wieder zusammengekommen. Dann waren wir ein Jahr zusammen, bevor wir zusammengezogen sind. Nach einem weiteren Jahr haben wir uns dann verlobt. Dann haben wir den Bund der Ehe zehn Monate später geschlossen. Im Oktober sind wir zwei Jahre verheiratet."
„Ihr seid also College-Liebhaber. Das ist so romantisch."
„Ja, so sieht es aus", sagte Kyle. „Aber es hat eine Weile gedauert, sie für mich zu gewinnen. Und die ganze Zeit habe ich die Konkurrenz mit einem Stock abgewehrt. Wie du dir vorstellen kannst, war so ziemlich jeder Typ, der sie sah, sofort von Frau Jessica Hunt begeistert. Und das alleine durch ihr Äußeres. Wenn sie sie einmal kennengelernt hatten, waren sie noch vernarrter."
„Kyle", sagte Jessie und ihr Gesicht wurde rot. „Du blamierst mich. Spar dir etwas davon für Oktober auf."
„Wisst ihr was", sagte Kimberly lächelnd, „Mir fällt gerade ein, dass ich meine Kinder holen muss. Und plötzlich habe ich das Gefühl, dass ich den Plan eines glücklichen Paares, sein neues Haus einzuweihen, störe. Also gehe ich jetzt. Aber ich verspreche euch, euch in der Nachbarschaft vorzustellen. Wir haben eine wirklich freundliche Nachbarschaft. Jeder kennt sich. Wir haben wöchentliche Grillfeste. Die Kinder bleiben ständig über Nacht. Jeder gehört dem örtlichen Yachtclub an, auch wenn er kein Boot hat. Sobald ihr euch eingelebt habt, werdet ihr feststellen, dass dies ein großartiger Ort zum Leben ist."
„Danke, Kimberly", sagte Kyle und brachte sie zur Tür. „Wir freuen uns darauf, alle kennenzulernen. Und vielen Dank für die Brownies."
Nachdem sie gegangen war, schloss er die Tür.
„Sie schien nett zu sein", sagte er. „Hoffentlich sind alle so."
„Ja, ich mochte sie", stimmte Jessie zu. „Sie war ein wenig neugierig, aber ich schätze, so sind die Leute hier unten. Ich sollte mich wohl daran gewöhnen, keine Privatsphäre mehr zu haben."
„Es wird eine Umgewöhnung sein", stimmte Kyle zu. „Aber ich denke, dass wir es langfristig vorziehen werden, die Namen unserer Nachbarn zu kennen und unsere Türen offen zu lassen."
„Mir ist aufgefallen, dass du sie gerade abgeschlossen hast", betonte Jessie.
„Das liegt daran, dass ich darüber nachgedacht habe, was Kimberly über die Einweihung des neuen Hauses gesagt hat", sagte er, als er sich ihr näherte und sein zweites Hemd innerhalb von zehn Minuten auszog. „Und ich mag keine Unterbrechungen, wenn ich einweihe.“
*
Jessie lag später in dieser Nacht im Bett und blickte zur Decke, ein Lächeln in ihrem Gesicht.
„In diesem Tempo werden wir diese zusätzlichen Schlafzimmer im Handumdrehen voll haben", sagte Kyle und las scheinbar ihre Gedanken.
„Ich bezweifle, dass wir dieses Tempo beibehalten können, sobald du im Büro anfängst und mein neues Semester beginnt."
„Ich finde es ist einen Versuch wert", sagte er und seufzte tief. Sie konnte spüren, wie sich sein ganzer Körper neben ihr entspannte.
„Bist du überhaupt nicht nervös?", fragte sie.
„Weshalb denn?"
„Alles – das höhere Gehalt, neue Stadt, neues Haus, neuer Lebensstil, neue Leute, alles neu."
„Es ist nicht alles neu", erinnerte er sie. „Du kennst Teddy und Melanie bereits."
„Ich habe Teddy dreimal und Melanie einmal gesehen. Ich kenne ihn kaum. Und ich kann mich nur vage an sie erinnern. Nur weil dein bester Freund aus Schulzeiten ein paar Blocks weiter wohnt, heißt das nicht, dass ich mich plötzlich mit unserem neuen Leben wohl fühle."
Sie wusste, dass sie einen Streit provozieren würde, aber sie konnte sich nicht zurückhalten. Kyle schluckte den Köder nicht. Stattdessen drehte er sich auf die Seite und streichelte mit einem Finger leicht an ihrer rechten Schulter entlang, neben der langen, mondartigen rosa Narbe, die zwölf Zentimeter von ihrem Oberarm bis zur Basis ihres Halses verlief.
„Ich weiß, dass du besorgt bist", sagte er zärtlich. „Und du hast allen Grund dazu. Alles ist neu. Und ich weiß, dass das beängstigend sein kann. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich das Opfer schätze, das du erbringst."
„Ich weiß, dass am Ende alles gut wird", sagte sie und sprach sanfter. „Aber es ist einfach eine Menge – alles auf einmal."
„Deshalb wird es helfen, Teddy und Mel morgen zu treffen. Wir werden diese Verbindung wiederherstellen, und dann werden wir Leute in der Nachbarschaft haben, an die wir uns halten können, wenn wir Hilfe brauchen. Selbst wenn man nur zwei Leute kennt, wird die Umstellung einfacher."
Er gähnte heftig und Jessie konnte erkennen, dass er kurz davor war, einzuschlafen. Dieses große Gähnen bedeutete normalerweise, dass er in sechzig Sekunden oder weniger tief und fest schlafen würde.
„Ich weiß, dass du Recht hast", sagte sie und war entschlossen, die Nacht im Guten zu beenden. „Ich bin sicher, es wird großartig."
„Das wird es", stimmte Kyle träge zu. „Ich liebe dich."
„Ich liebe dich auch", sagte Jessie und war sich nicht sicher, ob er sie noch gehört hatte, bevor er eingeschlafen war.
Sie hörte seine tiefen Atemzüge und versuchte, sie als Hilfe zum Einschlafen zu nehmen. Die Stille war beunruhigend. Sie war an die wohltuenden Geräusche der Innenstadt gewöhnt, wenn sie einschlief.
Sie vermisste das Hupen der Autos unten, die Finanz-Typen, deren betrunkene Schreie zwischen den Hochhäusern widerhallten, wenn sie aus den Bars kamen, das Piepen von Lastwagen, die rückwärts fuhren. Sie hatten jahrelang als ihr Einschlafgeräusch gedient. Jetzt war alles, was sie hörte, der leise Wirbel des Luftfilters in der Ecke des Schlafzimmers.
Ab und zu dachte sie, sie hörte ein entferntes Knarren. Das Haus war älter als dreißig Jahre, so dass mit einer gelegentlichen Bewegung zu rechnen war. Sie versuchte, eine Reihe von tiefen, entspannenden Atemzügen zu nehmen, sowohl um andere Geräusche zu übertönen als auch um sich selbst zu entspannen. Aber ein Gedanke hielt sie weiterhin wach.
Bist du dir wirklich sicher, dass es hier toll wird?
Sie verbrachte die nächste Stunde damit, ihre Zweifel hin und her zu wälzen und sie schuldig zu verdrängen, bevor sie schließlich ihrer Müdigkeit nachgab und in einen unruhigen Schlaf fiel.