KAPITEL DREI

3227 Words
KAPITEL DREI Reece stand am Rande der Lavagrube und starrte ungläubig hinein während die Erde unter seinen Füssen heftig bebte. Er konnte kaum fassen, was er gerade getan hatte. Seine Muskeln schmerzten noch immer von der Last des Felsblocks, von der Anstrengung, als sie ihn mitsamt dem Schwert des Schicksals in die Grube geworfen hatten. Er hatte gerade eben die mächtigste Waffe innerhalb des Rings zerstört, die Waffe um die sich die Legenden rankten, das Schwert, das seit Generationen in seiner Familie war, die Waffe des Auserwählten, die Quelle des Schildes. Er hatte es in die Lavagrube geworfen und mit eigenen Augen angesehen, wie es schmolz, in einen rotglühenden Feuerball aufging und im Nichts verschwand. Für immer verloren. Der Boden hatte seitdem unaufhörlich gebebt. Reece und die anderen, die mit ihm um die Lavagrube herum standen hatte Mühe, die Balance zu halten. Als er langsam von der Grube zurückwich hatte er das Gefühl, als ob die Welt um ihn zusammenbrach. Was hatte er nur getan? Hatte er den Schild zerstört? Den Ring? Hatte er etwa gerade den größten Fehler seines Lebens gemacht? Reece versuchte sich zu beruhigen indem er sich einredete, dass er keine andere Wahl gehabt hatte. Der Felsblock mit dem Schwert war schlicht und einfach zu schwer gewesen, als dass sie ihn so einfach hätten davontragen können. Ganz zu schweigen davon, dass sie ihn nie die Felswand hinaufbekommen hätten. Wie hätten sie außerdem mit der Last auf den Schultern vor diesen Wilden fliehen sollen? Er war in einer verzweifelten Situation gewesen. Und verzweifelte Situationen verlangen nach verzweifelten Maßnahmen. Ihre verzweifelte Situation hatte sich noch nicht verändert. Reece hörte die Schreie um sich herum die von tausenden dieser kleinen Kreaturen kamen, die nervenaufreibend mit den Zähnen klapperten, knurrten und lachten. Sie klangen wie ein Heer von Schakalen. Sie hatten sie verärgert; sie hatten ihr wertvolles Objekt gestohlen und nun wollten sie Rache. So schlimm die Situation Augenblicke zuvor schon war, sie wurde immer schlimmer. Reece sah die anderen – Elden, Indra, O’Connor, Conven, Krog und Serna – die sich verzweifelt umsahen. Tausende von Faws kamen aus allen Richtungen auf sie zu gestürmt. Reece hatte dafür gesorgt, dass niemand das Schwert auf die andere Seite des Canyons bringen konnte. Doch er hatte nicht darüber hinaus gedacht. Er hatte keinen Plan, wie er sich und die anderen außer Gefahr bringen sollte. Sie waren umzingelt und es gab keinen Weg heraus. Reece war fest entschlossen einen Ausweg zu finden, und nun, ohne das Schwert. konnten sie sich zumindest wieder schnell bewegen. Reece zog sein Schwert und ließ es zischend durch die Luft schwirren. Warum sollte er warten, bis diese Kreaturen angriffen? Zumindest würde er kämpfend untergehen. „ANGRIFF!“, schrie er. Sie zogen ihre Waffen und sammelten sich hinter ihm. Sie folgten ihm als er von der Lavagrube weg mitten unter die Faws stürmte, und mit seinem Schwert einen nach dem anderen ummähte. Elden neben ihm schwang seine Axt und schlug zweien gleichzeitig die Köpfe ab. O’Connor spannte seinen Bogen während er lief und traf mehrere Faws in seiner Bahn. Indra hatte ihr Kurzschwert gezogen und einem ins Herz gerammt, während Conven beide Schwerter schwang und sich wie ein Wahnsinniger schreiend mitten unter die Faws stürzte. Serna schwang seinen Streitkolben und Krog seinen Speer. Sie kämpften in perfektem Einklang und bahnten sich ihren Weg durch die dichte Menge in ihrem verzweifelten Versuch zu entkommen. Reece führte sie auf einen kleinen Hügel. Die Erde bebte noch immer, der Boten war matschig und der Hügel steil. Ein paar Faws gelang es, auf ihn zu springen. Sie schlugen, kratzten und bissen ihn. Er schlug wild um sich und es gelang ihm, sie mit Tritten abzuwehren und zu erstechen, bevor sie erneut angreifen konnten. Mit Kratzwunden und Bissen übersäht kämpfte Reece weiter, und sie stürmten um ihr Leben den Hügel hinauf. Als sie endlich die Spitze des Hügels erreicht hatte, hatten sie einen Vorsprung und konnten kurz durchatmen. Reece stand da und rang keuchend um Atem, und in der Ferne konnte er die Wand des Canyon erkennen, bevor sie wieder im Nebel verschwand. Er wusste, sie war da, ihr einziger Weg nach oben, und er wusste, dass sie sie schnellstens erreichen mussten. Reece warf einen Blick über die Schulter und sah tausenden von Faws die mit klappernden Zähnen, knurrend und fauchend den Hügel hinaufgestürmt kamen. „Was ist mit mir?“, hörte er eine Stimme. Reece fuhr herum und sah Centra am Fuße des Hügels. Er war immer noch ihr Gefangener und stand neben dem Anführer, der ihm seinen Dolch an den Hals hielt. „Lasst mich nicht zurück!“, schrie er. „Sie werden mich töten!“ Reece stand unentschlossen da. Er war unglaublich frustriert. Natürlich hatte Centra Recht: Sie würden ihn töten. Reece konnte ihn nicht zurücklassen, das verstieß gegen alles was Reece gut und heilig war. Immerhin hatte Centra ihnen zuvor auch geholfen. Reece zögerte. Er sah sich um und sah in der Ferne die Wand des Canyons, ihren Weg nach draußen. „Wir können nicht zurück“, sagte Indra panisch. „Sie werden uns alle töten!“ Sie trat mit dem Fuß nach einem Faw und er fiel den Hügel hinunter. „Wir haben so schon Glück, am Leben zu sein.“, rief Serna. „Er gehört nicht zu uns!“, sagte Krog. „Wir können nicht die ganze Gruppe für ihn in Gefahr bringen!“ Reece überlegte. Die Faws kamen immer näher und er musste eine Entscheidung treffen. „Du hast Recht“, gab Reece zu. „Er ist keiner von uns. Doch er hat uns geholfen. Er ist ein guter Mann. Ich kann ihn nicht in den Händen dieser Kreaturen zurücklassen. Wir lassen niemanden im Stich!“, sagte Reece fest. Reece rannte den Hügel hinab in Centras Richtung – doch bevor er unten ankam, war Conven schon vorausgestürmt, rutschte und rannte den Hügel hinab und bahnte Reece einen Weg. Er schlug mit seinen Schwertern wild um sich und stürmte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Furchtlos warf er sich in eine Gruppe von Faws und irgendwie gelange es ihm mit seiner wilden Entschlossenheit sich seinen Weg durch sie hindurch zu schlagen. Reece folgte ihm dicht auf den Versen. „Ihr anderen bleibt hier!“, rief Reece. „Wartet auf uns!“ Reece folgte Convens Beispiel und schlitzte und hieb rings um sich auf die Faws ein. Schließlich holte er Conven ein und sie gaben sich gegenseitig Deckung, bis sie Centra erreichten. Conven stürmte voran zu Centra, der ihn mit vor Angst weit aufgerissenen Augen ansah. Ein Faw wollte seinen Dolch an Centras Hals legen, doch Reece gab ihm keine Gelegenheit: Er holte mit dem Schwert aus, zielte und warf es mit aller Kraft. Das Schwert flog durch die Luft und durchbohrte schließlich den Hals des Faw, einen Wimpernschlag bevor dieser Centra töten konnte. Centra schrie erschrocken auf, als das Schwert nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt vorbeisauste. Zu Reeces Überraschung stürmte Conven nicht auf Centra zu, sondern rannte stattdessen an ihm vorbei einen kleinen Hügel hinauf. Reece blickte auf und sah schockiert zu. Conven stürmte den Hügel hinauf und bahnte sich seinen Weg durch eine Gruppe von Faws, die ihren Anführer umringten, der hoch oben auf seiner Plattform saß und von dort dem Kampf zusah. Conven tötete einen nach dem anderen. Sie hatten nicht mit ihm gerechnet, und es geschah zu schnell, als dass sie reagieren konnten. Reece erkannte, dass Conven auf ihren Anführer zustürmte. Conven kam näher, sprang hoch, holte mit dem Schwert aus, und als der Anführer ihn bemerkte war es schon zu spät. Conven stach ihm ins Herz. Der Anführer schrie – und plötzlich hörten sie um sich herum tausende von Schreie von den anderen Faws, gerade so, als ob sie selbst erstochen wurden. Es war, als ob sie alle ein gemeinsames Nervensystem verband – und Conven hatte es zerstört. „Das hättest du nicht tun sollen“, sagte er zu Conven, als er zurück an seiner Seite war. „Du hast einen Krieg angefangen“ Reece sah schockiert zu, wie ein kleiner Hügel schier explodierte und aus ihm tausende und abertausende von Faws hervorkrochen, wie Ameisen aus einem Hügel. Reece erkannte, dass Conven ihren König getötet hatte, und damit den Zorn des ganzen Volkes auf sich gezogen hatte. Die Erde erzitterte unter all den Füssen und sie klapperten bedrohlich mit den Zähnen, während sie auf Reece, Conven und Centra zustürmten. „RENNT!“, schrie Reece. Reece versetzte Centra, der noch immer schockiert dastand, einen Stoß und sie kämpften sich zu den anderen auf dem Hügel vor. Reece spürte, wie ein Faw ihm auf den Rücken sprang und zu Boden riss. Er zerrte ihn an den Knöcheln den Hügel hinunter und riss das Maul auf, um ihn zu beißen. Ein Pfeil segelte an Reeces Kopf vorbei und rette Reece. Oben auf dem Hügel stand O’Connor, der ihnen Deckung gab. Reece rappelte sich auf während Centra und Conven die Faws abwehrten. Schließlich schafften sie es zu den anderen auf den Hügel. „Schön, dass ihr wieder da seid!“, sagte Elden, holte mit seiner Axt aus und hieb nach ein paar Faws. Reece blinzelte in den Nebel und überlegte, welcher Weg der richtige war. Der Pfad vor ihm gabelte sich, und er wollte gerade nach Rechts gehen, als Centra an ihm vorbeirannte und nach Links ging. „Folgt mir!“, rief Centra. „Das ist der einzige Weg!“ Während tausende von Faws begannen, den Hügel hinaufzuklettern, rannten Reece und die anderen Centra hinterher, und Reece war mehr als froh, dass er ihn aus den Händen der Faws befreit hatte. „Wir müssen es zur Canyonwand schaffen“, rief Reece und war sich nicht sicher, wo Centra sie hinführte. Sie rannten durch den dichten Wald und bemühten sich, Centra zu folgen, als er dem Waldweg durch den Nebel folgte und dabei geschickt dicken Wurzeln auswich, die über den Weg wuchsen. „Es gibt nur einen Weg diese Kreaturen loszuwerden!“, rief Centra über seine Schulter. „Folgt mir!“ Sie folgten Centra so dicht sie konnten, stolperten über Wurzeln, wurden von Ästen zerkratzt. Reece versuchte krampfhaft etwas durch den immer dichter werdenden Nebel zu erkennen und stolperte mehr als einmal auf dem unebenen Boden. Sie rannten bis ihre Lungen schmerzten, doch das schreckliche Geschrei der Faws hinter ihnen schien eher näher zu kommen. Elden und O’Connor halfen Krog, was sie deutlich verlangsamte. Reece hoffte und betete, dass Centra wusste, wo er sie hinführte; er konnte die Wand des Canyon durch den Nebel nirgends erkennen. Plötzlich blieb Centra stehen, und Reece rannte in seine ausgestreckte Hand. Reece sah nach unten und sah einen Schritt vor sich einen steilen Abhang, der zu einem reißenden Fluss hinunter führte. „Wasser“, erklärte Centra und schnappte nach Luft. „Sie haben Angst vor Wasser.“ Die anderen blieben neben ihnen stehen und sahen hinab zu den schäumenden Stromschnellen. „Es ist unsere einzige Chance“, fügte Centra hinzu. „Wir müssen den Fluss überqueren. Sie werden uns nicht folgen und wir gewinnen Zeit.“ „Aber wie sollen wir da rüber kommen?“, fragte Reece und blickte über das Wasser hinweg. „Die Strömung wird uns töten!“, sagte Elden. Centra schmunzelte. „Das ist unsere geringste Sorge“, sagte er. „Das Wasser ist voller Fourens – das tödlichste Tier auf hier unten. Fall hinein und sie zerreißen dich in Stücke.“ „Dann können wir nicht schwimmen“, stellte O’Connor fest. „Und ich sehe kein Boot.“ Reece sah sich um und bemerkte, dass die Faws immer näher kamen. „Das ist der einzige Weg.“, sagte Centra und griff nach einer langen Liane, die von einem Baum hing, dessen riesige Äste bis weit über den Fluss hinaus ragten. „Wir müssen uns auf die andere Seite schwingen. Versucht nicht abzurutschen und lasst um Himmels Willen nicht los, bevor ihr über dem Ufer auf der andern Seite seid. Dann werft die Liane zurück zu den anderen.“ Reece sah hinunter in den reißenden Strom und bemerkte eine hässliche gelbe Kreatur, die aus dem Wasser sprang. Sie sah aus wie ein Sonnenfisch, und schien fast ausschließlich aus Zähnen zu bestehen. Sie schnappte und machte seltsame Geräusche. Er entdeckte immer mehr von ihnen, die aussahen, als warteten sie auf ihre nächste Mahlzeit. Reece warf noch einmal einen Blick über die Schulter, und sah, dass die Faws schon über den nächsten Hügel schwappten. Sie hatten keine andere Wahl. „Geh du zuerst“, sagte Centra zu Reece. Reece schüttelte den Kopf. „Ich gehe zuletzt.“, sagte er. „Falls wir es nicht alle rechtzeitig schaffen. Geh du als erster. Du kennst den Weg.“ Centra nickte. „Das musst du mir nicht zweimal sagen.“, antwortete er mit einem Lächeln und beobachtete nervös, wie die Faws immer näher kamen. Centra griff die Liane, schwang sich mit einem Schrei über das Wasser und landete schließlich sicher auf der anderen Seite. Er hatte es geschafft. Centra lächelte und schickte die Liane mit Schwung zurück über den Fluss. Elden griff danach und streckte sie Indra hin. „Damen zuerst.“, sagte er. Sie schnitt eine Grimasse. „Ich lasse dir gerne den Vortritt. Du bist groß und schwer. Bring es hinter dich und fall nicht rein. Sonst müsste ich dich retten.“ Elden verzog das Gesicht und hielt sich an der Liane fest. „Ich wollte nur nett sein“, sagte er. Mit einem Schrei sprang auch er hoch und stolperte am anderen Ufer neben Centra. Er schickte die Liane zurück und nacheinander schwangen sich auch O’Connor, Serna, Indra und Conven hinüber. Nur noch Reece und Krog waren übrig. „Damit sind nur noch wir zwei hier.“, sagte Krog zu Reece. „Geh und rette dich“, sagte Krog als er ängstlich einen Blick über seine Schulter warf. „Die Faws sind zu nah. Wir können es nicht beide schaffen.“ Reece schüttelte den Kopf. „Wir lassen niemanden im Stich.“, sagte er. „Wenn du nicht gehst, gehe ich auch nicht.“ Sie standen am Ufer und sahen einander stur an. Krog sah immer nervöser aus und schüttelte den Kopf. „Du bist ein Narr. Warum sorgst du dich so sehr um mich. Wenn ich an deiner Stelle wäre, wäre es mir gerade egal ob du lebst oder stirbst.“ „Ich bin jetzt euer Anführer, und das macht mich verantwortlich“, sagte Reece. „Du bist mir gleich, aber meine Ehre nicht. Und meine Ehre gebietet es mir, niemanden zurückzulassen.“ Sie fuhren herum, als die ersten Faws sie erreichten. Reece hieb mit seinem Schwert auf sie ein und tötete einige von ihnen. „Wir gehen zusammen!“, rief Reece. Ohne noch mehr Zeit zu verschwenden nahm Reece Krogs Arm über die Schulter, griff die Liane und beide schrien als sie genau in dem Augenblick losflogen, als die nächste Gruppe von Faws sie erreichte. Sie flogen dicht über dem Wasser durch die Luft. „HILFE!“, schrie Krog. Krog rutschte von Reeces Schulter ab und griff nach der Liane; doch sie war feucht von der Gischt und vom Nebel und sie rutschte durch seine Hand während er fiel. Reece griff nach ihm, doch es geschah zu schnell. Reece musste geschockt mitansehen, wie Krog in den reißenden Fluss fiel. Reece landete am Ufer und rollte ab. Er sprang auf und wollte zurück ins Wasser laufen, doch bevor er reagieren konnte war Conven schon mit dem Kopf voran ins Wasser getaucht. Reece und die anderen sahen atemlos zu. War Conven wirklich so mutig? Oder war er suizidal? Conven schwamm durch die schäumenden Fluten. Aus irgendeinem Grunde wurde er nicht von den Kreaturen angegriffen, erreichte Krog, der Wild um sich schlug, und zerrte ihn gegen die Strömung zurück in Richtung des Ufers. Plötzlich schrie Krog auf: „Mein Bein!“ Krog bäumte sich vor Schmerzen auf als ein Fouren sich in seinem Bein festbiss. Seine glänzenden gelben Schuppen waren bis an die Oberfläche zu sehen. Conven schwamm bis sie endlich das Ufer erreichten. Reece und die anderen griffen nach ihren Armen und zogen sie heraus. Ein Schwarm von Fouren sprang an die Oberfläche und schnappte nach ihnen, doch Reece und die anderen schlugen sie weg. Krog schlug um sich und Reece sah, dass der Fouren immer noch an seinem Bein hing. Indra zog ihren Dolch. Sie beugte sich über ihn, hebelte vorsichtig mit der Schneide die Kiefer von Krogs Bein bis es losließ, über das Ufer hüpfte, und zurück ins Wasser sprang. „Ich hasse dich!“, zischte Krog. „Gut. Ich mag dich auch nicht.“, sagte Indra unbeeindruckt. Reece sah Conven an, der triefend nass vor ihm stand und wunderte sich über seine Kühnheit. Conven sah ihn ausdruckslos an und Reece bemerkte erschrocken, dass sich ein Fouren in seinem Arm festgebissen hatte. Reece konnte nicht fassen, wie ruhig Conven war: er griff langsam mit der anderen Hand danach, riss ihn los und warf ihn zurück ins Wasser. „Tut das nicht weh?“ Conven zuckte mit den Schultern. Reece machte sich mehr Sorgen denn je; auch wenn er Convens Mut bewunderte, konnte er nicht glauben, dass er so leichtsinnig war. Er hatte sich mit dem Kopf voran in einen Schwarm dieser gefährlichen Kreaturen gestürzt ohne auch nur darüber nachzudenken. Auf der anderen Seite des Flusses standen hunderte von Faws. Sie klapperten wütend mit ihren Zähnen, schimpften und ballten ihre Fäuste. „Wir sind in Sicherheit“, sagte O’Connor. Centra schüttelte den Kopf. „Nur für den Moment. Diese Faws sind schlau. Sie wissen, wo der Fluss eine Biegung macht. Sie werden den langen Weg nehmen und auf unsere Seite kommen. Uns bleibt nicht viel Zeit. Wir müssen uns beeilen.“ Sie folgten Centra als er weiter durch die Schlammfelder rannte, vorbei an kochenden Geysiren, und einem Weg folgte, den nur er sah. Sie rannten immer weiter, bis sich endlich der Nebel etwas lichtete und Reece mit Freuden die glänzende Canyonwand vor sich sah. Er blickte hinauf, und sie war furchteinflößend hoch. Er hatte keine Ahnung, wie sie es nach oben schaffen sollten. Reece und die anderen standen vor der Felswand und blickten sorgenvoll nach oben. Von hier unten wirkte sie noch bedrohlicher als sie schon auf dem Weg herunter auf sie gewirkt hatte. Er sah sich um, sah wie mitgenommen sie alle waren und fragte sich, ob sie es schaffen konnten. Sie waren erschöpft, hatten alle irgendwelche Blessuren und waren vollkommen außer Atem. Ihre Hände und Füße waren wund. Wie sollten sie an der senkrechten Wand hochklettern, wenn es schon fast alles von ihnen verlangt hatte, daran herunterzuklettern? „Ich kann nicht mehr“, sagte Krog mit erstickter Stimme. Reece fühlte sich genauso, doch er wagte nicht, es auszusprechen. Sie saßen fest. Sie waren den Faws für eine Weile entkommen. Bald würden sie sie finden, und töten. All die Anstrengungen, all die Mühen – umsonst. Reece hatte keine l**t zu sterben. Nicht an diesem Ort. Wenn er schon sterben musste, wollte er es dort oben tun, auf seinem Land, mit Selese an seiner Seite. Wenn ihm doch nur die Chance zur Flucht gewährt werden würde. Reece hörte ein Geräusch, fuhr herum und sah die Faws, die sich vielleicht hundert Meter entfernt durch das Dickicht anschlichen, tausende von ihnen. Sie hatten den Fluss offensichtlich schon umgangen und kamen schnell näher. Reece und seine Freunde zogen ihre Waffen. „Es gibt keinen Ausweg mehr“, sagte Centra. „Dann werden wir bis zum letzten Atemzug kämpfen.“, rief Reece fest entschlossen. „Reece!“, hörte er eine Stimme. Reece blickte an der Felswand hinauf, und als sich die Nebelschwaden für einen Augenblick verzogen, sah er sie. Zuerst dachte er, dass er es sich nur einbildete. Es konnte nicht sein. Dort oben, nicht weit von ihm, war die Frau, die zu sehen er sich in den letzten Minuten am meisten gewünscht hatte. Selese. Was machte sie hier? Wie war sie hierher gekommen? Und wer war die Frau neben ihr? War das Illepra, die königliche Heilerin? Die beiden hingen an einem langen, dicken Seil, das sie sich um ihre Hüften gewickelt hatten. Sie kamen schnell herunter und Selese warf ihm das Ende des Seils zu. Der erhoffte Ausweg landete direkt vor seinen Füssen. Sie zögerten keinen Augenblick, und binnen weniger Augenblicke kletterten sie an dem Seil hoch. Reece ging zuletzt und zog das Ende des Seils mit sich, damit die Faws es nicht greifen konnten. Als er nur wenige Meter über dem Boden in der Felswand hing erschienen die Faws, sprangen hoch, und versuchten seine Füße zu erreichen – doch Reece war gerade außer Reichweite. Er hielt an als er Selese erreichte, die auf einem Vorsprung auf ihn wartete, lehnte sich zu ihr hinüber und küsste sie. „Ich liebe dich“, sagte Reece aus tiefstem Herzen. „Und ich liebe dich!“, antwortete sie. Die beiden kletterten den anderen hinterher die Felswand hinauf, immer höher und höher. Bald würde sie zu Hause sein. Reece konnte es kaum glauben. Zu Hause.
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