KAPITEL DREI
Das Wakeman Blindenheim sah überhaupt nicht so aus, wie Mackenzie es erwartet hatte. Im Gegensatz zur Stateton Polizeidienststelle und der Justizvollzuganstalt, sah das Wakeman Blindenheim wie ein Wunderwerk des modernen Designs und Baus aus – und das war ein Anblick der Mackenzie durchfuhr, ehe sie überhaupt einen Fuß hineingesetzt hatten.
Der Vorderbereich des Gebäudes war aus großen Glasfenstern gemacht, die das meiste der Wände einzunehmen schienen. Auf dem halben Weg in Richtung Eingang konnte Mackenzie schon hineinsehen. Sie sah eine große Lobby, die aussah wie einer Art Spa. Es sah freundlich und einladend aus.
Es war ein Gefühl, das noch stärker wurde, als sie hineinging. Alles sah sehr sauber und neu aus. Bei ihren Ermittlungen auf dem Weg nach Stateton, hatte sie herausgefunden, dass das Wakeman Blindenheim erst im Jahr 2007 gebaut worden war. Als es gebaut worden war, hatte es ein schwaches Hurra innerhalb des Stateton Landkreises gegeben, da es neue Jobs und Wirtschaft brachte. Jetzt, obwohl es immer noch eines der eher bekannten Gebäude im Landkreis war, hatte sich die Aufregung gelegt und das Haus schien von seiner ländlichen Umgebung verschluckt worden zu sein.
Eine junge Frau saß hinter einer gebogenen Theke entlang der hinteren Wand. Sie grüßte sie lächelnd, obwohl man ihr ansehen konnte, dass sie nervös war. Mackenzie und Ellington näherten sich ihr, stellten sich vor und wurden sofort gebeten im Sitzbereich Platz zu nehmen, während Randall Jones herauskam, um sie zu treffen.
Wie sich herausstellte, konnte Randall Jones es gar nicht erwarten, sie zu treffen. Mackenzie hatte gerade erst zehn Sekunden gesessen, als sich eine Doppeltür die ins Hintere des Gebäudes führte, auf der anderen Seite des Raumes öffnete. Ein großer Mann in mit Hemd und Kakis trat heraus. Er versuchte zu lächeln, als er sich vorstellte, aber wie die Rezeptionistin konnte er die Tatsache, dass er müde und aufgewühlt war, nicht verstecken.
“Ich freue mich, dass Sie so schnell kommen konnten”, sagte Jones. “Je eher, wir das hier abschließen, umso besser. Der Kleinstadt Flurfunk brodelt.”
“Wir würden das auch gerne so schnell wie möglich aufklären”, erwiderte Mackenzie. “Wissen Sie, wo genau die Leiche gefunden wurde?”
“Ja. In einem Rosengarten ca. einen Kilometer von hier. Es sollte der ursprüngliche Bauort für Wakeman sein, aber ein paar merkwürdige Grafschaft Begrenzungs-messungen haben das alles versaut”.
“Könnten Sie uns dort hinbringen?”, fragte Mackenzie.
“Natürlich. Alles, was Sie wollen. Kommen Sie mit.”
Jones führte sie die durch Doppeltüren, durch die sie gekommen waren. Auf der anderen Seite, gab es eine kleine Nische, die direkt in das Heim führte. Die ersten paar Türen, an denen sie vorbeigingen, waren Büros und Stauräume. Diese waren durch einen offenen Bürobereich von den Zimmern der Bewohnern getrennt, wo ein Mann und eine Frau hinter einem Tresen wie in einem Krankenhaus saßen.
Als sie an den Zimmern vorbeigingen, schaute Mackenzie in die hinein, die offen standen. Die Zimmer waren recht geräumig und mit schönen Möbeln dekoriert. Sie sah auch Laptops und Smartpads in ein paar Zimmern.
Auch wenn sie sich mitten im Nichts befanden, gab es offensichtlich keine Kürzung an Geldern, um das Heim am Laufenden zu halten, dachte sie.
“Wie viele Personen leben hier?”, fragte Mackenzie.
“Sechsundzwanzig”, antwortete er. “Und die kommen von überallher. Wir haben einen alten Mann hier, der aus Kalifornien gekommen ist, wegen des außergewöhnlichen Services und der Lebensqualität, die wir hier anbieten.
“Verzeihung, wenn das eine ignorante Frage ist”, sagte Mackenzie, “aber was für Dinge tun Sie hier?”
“Naja wir haben Unterricht, der jede Menge Interessen abdeckt. Die meisten müssen natürlich auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten werden. Wir haben Kochunterricht, Sportprogramme, ein Spielklub, Triviaklub, Gärtnerei, Handwerken, so was halt. Ein paar Mal im Jahr organisieren wir Ausflüge, wo sie dann wandern oder schwimmen können.
Wir haben sogar zwei mutige Seelen die gerne Kanufahren, wann immer wir Ausflüge machen.”
Das alles zu hören, ließ Mackenzie sich sowohl unempfindlich, als auch glücklich fühlen. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass Menschen die völlig blind waren, auch Dinge wie Kanufahren oder Schwimmen ausüben können.
Am Ende des Flurs führte Jones sie zu einem Fahrstuhl. Als sie hineintraten und nach unten fuhren, lehnte Jones sich erschöpft gegen die Wand.
“Herr Jones”, sagte Mackenzie, “haben Sie eine Idee, wie die einheimischen Zeitungen bereits Wind von den Morden bekommen haben?”
“Keine Ahnung”, sagte er. “Das ist einer der Gründe, warum ich so müde bin. Ich habe mein Personal umfangreich befragt. Aber es ist nichts dabei herausgekommen. Es gibt auf jeden Fall ein Loch, aber ich habe keine Ahnung, wo das herkommt.”
Mackenzie nickte. Nicht wirklich was, worum man sich hier Sorgen machen muss, dachte sie. Ein Loch in einer kleinen Stadt wie dieser ist fast schon eine Gewissheit. Es sollte dennoch den Ermittlungen nicht im Weg stehen.
Der Fahrstuhl hielt an und ließ sie in einer kleinen Art von fertigem Keller heraus. Ein paar Stühle standen hier und da, aber Jones führte sie zu einer Tür direkt vor ihnen. Sie traten hinaus und Mackenzie fand sich selbst hinter dem Gebäude wieder, auf einem Parkplatz für Angestellte.
Randall führte sie zu seinem Auto, und als er hineinstieg, stellte er sofort die Klimaanlage an. Das Innere des Autos war wie ein Backofen, aber die Klimaanlage begann, sofort zu arbeiten.
“Wie ist Frau Ridgeway in den Garten gekommen?”, fragte Ellington.
“Naja, da wir hier inmitten von nichts sind, erlauben wir unseren Bewohnern eine bestimmte Menge an Freiheiten. Wir haben eine Sperrstunde von neun Uhr abends während des Sommers – im Herbst sechs Uhr abends und im Winter ebenso, wenn es früher dunkler wird. Wie Sie sehen können, ist es ein schneller Spaziergang ohne irgendwelche Risiken.”
Randall fuhr sie aus der Parklücke und fuhr auf die Straße. Er fuhr in die entgegengesetzte Richtung der Polizeiwache und zeigte Ellington und Mackenzie einen neuen Abschnitt der Straße.
Die Straße war eine gerade Strecke, die weiter in die Wälder hineinführte. Aber innerhalb von dreißig Sekunden konnte Mackenzie die kleinen gusseisernen Tore sehen, die den Rosengarten umgaben. Randall fuhr in eine schmale Parklücke, wo nur drei andere Autos parkten, eines davon war ein unbesetztes Polizeiauto.
“Sheriff Clarke und seine Männer waren fast die ganze Nacht da draußen und heute Morgen auch”, sagte Randall. “Als er gehört hat, dass Sie kommen, ist er gegangen. Er will Ihnen wirklich nicht in die Quere kommen, wissen Sie?”
“Das wissen wir wirklich zu schätzen”, sagte Mackenzie, stieg aus dem Auto und zurück in die stickige Hitze.
“Wir wissen sicher, dass dies der letzte Ort war, den Ellis Ridgeway besucht hat”, sagte Randall. “Sie ist an zwei anderen Bewohnern vorbeikommen, als sie gegangen ist, sowie auch an mir. Weitere Beweise können Sie auf der Sicherheitskamera des Hauses sehen. Sie ist offensichtlich in diese Richtung gegangen – und alle hier im Heim wissen, dass sie gerne noch späte Spaziergänge gemacht hat. Sie hat das mindestens vier oder fünf Mal in den meisten Wochen getan.”
“Und war niemand bei ihr?”, fragte Mackenzie.
“Keiner vom Heim. Ehrlich, nicht viele Menschen kommen hier in dem heißen Sommer her. Ich bin mir sicher, Sie haben bemerkt, dass wir uns inmitten eines sehr heißen Sommers befinden.”
Sie bemerkte den Geruch von Rosen, Hortensien und vielleicht Lavendel. Sie nahm an, es müsste ein nettes Fluchtziel für die Blinden sein – ein Weg, die anderen Sinne wirklich zu genießen.
Als sie eine Bank auf dem Weg erreichten, die sich nach Osten neigte, drehte sich Jones um und zeigte hinter ihnen. “Wenn Sie durch die Bäume hier auf die andere Seite der Straße schauen, können Sie die Rückseite von Wakeman sehen”, sagte er traurig. “Sie war so nah bei uns, als sie gestorben ist.”
Er trat dann vom Pfad und drückte sich an zwei großen Blumentöpfen vorbei, die rote Rosen enthielten. Mackenzie und Ellington folgten ihm. Sie erreichten die Hintertür, die hauptsächlich von all den Bäumen, Blumen und der Vegetation versteckt lag. Es gab einen Platz von ca 1,20 m, der leer war, abgesehen von ein wenig Gras.
Während sie da durchliefen, konnte sie sofort sehen, warum dies ein perfekter Platz für einen geduldigen Mörder war, um zuzuschlagen. Randall Jones hatte es selbst gesagt – niemand kam hier heraus, wenn es so heiß war. Der Mörder wusste davon und hatte es zu seinem Vorteil genutzt.
“Hier habe ich sie gefunden”, sagte Jones und zeigte auf die leere Stelle zwischen den größeren Blumentöpfen und den schwarzen gusseisernen Pforten. “Sie lag mit dem Gesicht nach unten und war in eine Art U gebeugt.”
“Sie haben Sie gefunden?”, fragte Ellington.
“Ja. Ungefähr um 21.45 Uhr letzten Abend. Als sie zur Sperrstunde nicht zurückkam, habe ich angefangen, mir Sorgen zu machen. Nach einer halben Stunde habe ich gedacht, ich komme mal nachschauen, falls sie hingefallen ist oder in Panik ist oder so etwas.”
“War ihre Kleidung vollständig”, fragte Mackenzie.
“Soweit ich weiß”, erwiderte Randall, sichtlich überrascht von der Frage. “In dem Moment habe ich nicht an so etwas gedacht.”
“Und es gibt absolut niemand anderen auf dem Videomaterial des Heims zu sehen?”, fragte Ellington. “Niemand der ihr gefolgt ist?”
“Niemand. Sie können sich gerne das Material selbst anschauen, wenn wir zurückkommen.”
Während sie zurück durch den Garten gingen, brachte Ellington eine Frage auf, die in Mackenzies Gedanken ebenso brodelte. “Es ist sehr ruhig hier in dem Heim heute. Warum?”
“Ich denke, man nennt das Trauern. Wir sind eine sehr verbundene Gemeinschaft bei Wakeman und Ellis war so beliebt. Nur wenige unserer Bewohner sind tagsüber heute aus ihren Zimmern gekommen. Wir haben auch eine Bekanntgebung über die Beschallungsanlage gemacht, dass wir Agenten aus DC hier haben, die Ellis Tod untersuchen. Seitdem ist fast niemand mehr aus dem Zimmer gekommen. Ich denke, sie drehen durch …. haben Angst.
Das, Plus die Tatsache, das niemand ihr gefolgt ist, streicht die Tatsache, dass der Mörder ein Bewohner sein könnte, dachte Mackenzie. Die dünne Akte des ersten Opfers besagte, dass der Mordfall zwischen dreiundzwanzig Uhr und Mitternacht stattfand … und eine recht gute Distanz entfernt von Stateton.
“Wäre es möglich für uns mit einigen Ihrer Bewohner zu sprechen?”, fragte Mackenzie.
“Das ist absolut in Ordnung für mich”, sagte Jones. “Natürlich, wenn es ihnen unangenehm ist, dann muss ich Sie bitten, es zu beenden.”
“Natürlich. Ich denke, ich könnte –“
Sie wurde von dem Klingeln ihres Handys unterbrochen. Sie schaute drauf und sah eine unbekannte Nummer auf dem Display.
“Eine Sekunde”, sagte sie und nahm den Anruf an. Sie drehte sich von Jones weg und antwortete: “Hier ist Agentin White.”
“Agentin White, hier ist Sheriff Clarke. “Hören Sie, ich weiß Sie sind gerade erst hier gewesen, aber ich würde es wirklich zu schätzen wissen, wenn Sie so schnell wie möglich wieder hier herkommen könnten.”
“Bestimmt. Ist alles in Ordnung?”
“Es war schon besser”, antwortete er. “Ich habe gerade diese Platz Verschwendung von Langston Ridgeway hier im Büro. Und er macht hier eine kleine Szene.”
Nicht mal da, wo sich Hase und Fuchs Gute Nacht sagen, kann man der Politik entfliehen, dachte Mackenzie.
Irritiert gab sie ihr Bestes, um professionell zu antworten. “Geben Sie uns zehn Minuten”, sagte sie und legte auf.
“Herr Jones, wir müssen jetzt zurück zum Sheriff”, sagte sie.
“Können Sie dieses Sicherheitsmaterial für uns bereithalten? Wenn wir zurückkommen?”
“Natürlich”, sagte Randall und führte sie zu seinem Auto.
“Und in der Zwischenzeit”, fügte Mackenzie hinzu, “möchte ich gerne eine Liste von allen Personen, denen gegenüber sie argwöhnisch sind. Ich spreche hierbei von Personal und anderen Bewohnern. Menschen, die die Reichweite der Sicherheitskamera im Garten kennen.”
Jones nickte düster. Der Blick auf seinem Gesicht sagte Mackenzie, dass dies etwas war, das er selbst in Betracht gezogen hatte, aber sich nicht getraut hatte, zu viel Glauben da hineinzulegen. Mit demselben Ausdruck auf seinem Gesicht startete er den Wagen und fuhr sie zurück nach Wakeman. Auf dem Weg bemerkte Mackenzie wieder die Stille in dieser kleinen Stadt – nicht ruhig, aber eher wie die Ruhe vor dem Sturm.