Chapter 1
KAPITEL EINS
Eine Zelltür wurde krachend zugeschlagen und Duncan öffnete langsam seine Augen. Er wünschte, er hätte dies nicht getan. Sein Kopf pochte, ein Auge war geschlossen und er versuchte den tiefen Schlaf abzuschütteln. Ein scharfer Schmerz zog sich durch sein gutes Auge. Er lag auf kaltem, feuchten Stein. Er versuchte sich hinzusetzen, fühlte jedoch Eisen an seinen Händen und Knöcheln klirren und realisierte sofort: Fesseln. Er befand sich in einem Kerker.
Ein Gefangener.
Duncan öffnete seine Augen weiter, als er von weitem das Marschieren von Stiefeln hörte, welches von irgendwoher aus der Dunkelheit erklang. Er versuchte seine Zelle zu erkennen. Es war dunkel hier, die Steinwände waren nur schwach von Fackeln erleuchtet, die weit weg an den Wänden hingen. Zusätzlich drang ein wenig Sonnenlicht von einem Fenster herein, welches zu hoch war um hinauszuschauen.
Das fahle Licht schien in die Zelle, schlicht und alleine, so als ob es Kilometer entfernt wäre. Er hörte das Tropfen von Wasser und das Geräusch von Stiefeln. Er konnte die Konturen der Zelle kaum ausmachen. Sie war riesig, ihre Steinwände gebogen mit zu vielen dunklen Ecken, die in der Dunkelheit verschwanden.
Von seinen Jahren in der Hauptstadt wusste Duncan sofort, wo er sich befand: Im königlichen Kerker. Dies war der Ort an den sie die schlimmsten Kriminellen des Königreichs sendeten, die mächtigsten Feinde, die entweder hier drin verrotteten – oder auf ihre Hinrichtung warteten. Duncan hatte, als er noch dem König gedient hatte, bereits selbst viele Männer hier hinuntergebracht. Es war ein Ort, das wusste er zu gut, von dem Gefangene nicht wieder auftauchten.
Duncan versuchte sich zu bewegen, aber seine Fesseln gestatteten ihm dies nicht und schnitten in seine verletzten, blutenden Hand- und Fußgelenke. Aber das waren noch seine leichtesten Verletzungen; sein ganzer Körper tat weh und pochte. Alles schmerzte so sehr, dass sich kaum feststellen ließ, wo der Schmerz am Schlimmsten war. Es fühlte sich an, als ob er tausendmal geschlagen worden und von einer Armee aus Pferden überrannt worden wäre. Es tat weh zu atmen. Er schüttelte mit dem Kopf und versuchte den Schmerz abzuschütteln. Aber er ging nicht weg.
Als er seine Augen schloss, leckte er sich über seine rissigen Lippen und sah Erinnerungen vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen. Der Hinterhalt. War es gestern gewesen? Vor einer Woche? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Er war verraten worden, umzingelt, von den Versprechungen eines falschen Handels gelockt. Er hatte Tarnis vertraut und Tarnis war vor seinen Augen umgebracht worden.
Duncan erinnerte sich, wie die Männer, auf seinen Befehl hin, die Waffen fallen ließen; erinnerte sich daran wie er zurückgehalten wurde; und am Schlimmsten von Allem: Er erinnerte er sich an den Mord seiner Söhne.
Er schüttelte wieder und wieder mit dem Kopf und schrie vor Qualen auf. Duncan versuchte die Bilder aus seinem Kopf zu verbannen. Er saß da mit dem Kopf in den Händen und den Ellbogen auf den Knien und stöhnte bei diesen Gedanken. Wie konnte er nur so dumm gewesen sein? Kavos hatte ihn gewarnt und er hatte ihn nicht beachtet, er war naiv und optimistisch gewesen, er hatte gedacht, dass es dieses Mal anders sein würde, dass man den Adligen vertrauen konnte. Und er hatte seine Männer direkt in eine Falle geführt, direkt in die Höhle der Schlangen.
Duncan hasste sich selbst dafür, mehr als er es ausdrücken konnte. Das Einzige, was er bereute war, dass er immer noch am Leben war, dass er nicht dort zusammen mit seinen Söhnen und mit all den anderen, die er enttäuscht hatte, gestorben war.
Die Schritte kamen näher. Duncan sah nach oben und blinzelte in die Dunkelheit. Langsam tauchte die Silhouette eines Mannes auf. Er blockierte das wenige einfallende Sonnenlicht und kam näher bis er nur noch ein paar Zentimeter entfernt war. Als das Gesicht des Mannes Form annahm, schreckte Duncan zurück, denn er erkannte ihn deutlich wieder. Der Mann, leicht erkennbar an seinem aristokratischen Gewand, trug das gleiche pompöse Kleid wie an dem Tag, als er Duncan um das Königtum gebeten hatte, als er versucht hatte seinen Vater zu verraten. Enis. Tarnis Sohn.
Enis kniete sich mit einem spöttischen, siegreichen Lächeln auf dem Gesicht vor Duncan. Seine lange vertikale Narbe zog sich über sein Ohr und war deutlich sichtbar, als er ihn mit hinterlistigen, hohlen Augen ansah. Duncan fühlte wie ihn eine Welle der Abscheu packte, ein brennendes Verlangen nach Rache. Er ballte seine Fäuste zusammen und wollte nach dem Jungen greifen und ihn mit seinen eigenen Händen in Stücke reißen, diesen Jungen der verantwortlich für den Tod seiner Söhne und für das Eingesperrt sein seiner Männer war. Diese Fesseln waren alles, was ihn auf dieser Welt davon abhielt ihn zu töten.
„Die Schmach des Eisens”, stellte Enis lächelnd fest. „Hier knie ich nun, nur Zentimeter von dir entfernt, und du hast keine Chance mich zu berühren.“
Duncan starrte zurück. Er wünschte, er könnte etwas sagen, aber er war noch zu geschwächt für Wörter. Sein Hals war zu trocken und seine Lippen zu ausgedörrt und er musste seine Kraft sparen. Er fragte sich, wie viele Tage vergangen waren, seit dem er zuletzt etwas getrunken hatte und wie lange er schon hier unten war. Dieses Wiesel war seiner Worte so oder so nicht wert.
Enis war aus einem bestimmten Grund hier unten; er wollte etwas. Duncan hatte keine falschen Illusionen: Er wusste, dass, egal was dieser Junge sagen würde, seine Hinrichtung nah war. Aber das war genau das, was Duncan wollte. Nun da seine Söhne tot und seine Männer eingesperrt waren, gab es nichts mehr für ihn in dieser Welt. Es gab keinen anderen Ausweg für seine Schuld.
„Ich bin neugierig“, sagte Enis mit seiner glatten Stimme. „Wie fühlt es sich an? Wie fühlt es sich an jeden verraten zu haben, den du kennst und liebst, jeden der dir vertraut hat?“
Duncan fühlte wie seine Wut aufkochte. Unfähig länger still zu bleiben, sammelte er irgendwie seine Kräfte, um zu sprechen.
„Ich habe niemanden verraten“, schaffte er es zu sagen, seine Stimme war rau und heißer. „Hast du nicht?“ gab Enis scharf zurück, er genoss dies offensichtlich.
„Sie haben dir vertraut. Und du hast sie in den Hinterhalt geführt und umzingeln lassen. Du hast ihnen das Letzte genommen, was ihnen blieb: Ihren Stolz und ihre Ehre.“
Duncan wurde mit jedem Atemzug wütender.
„Nein“, sagte er endlich nach einer langen und schweren Stille. „Du bist der derjenige gewesen, der ihnen alles genommen hat. Ich habe deinem Vater vertraut und er vertraute dir.“
„Vertrauen“, lachte Enis. „Was für ein naives Konzept. Würdest du wirklich das Leben von Männern für Vertrauen hingeben?”
Er lachte wieder und Duncan kochte vor sich hin.
„Anführer vertrauen nicht”, fuhr er fort. „Anführer zweifeln. Das ist ihr Aufgabe, skeptisch, gegenüber der Hälfte ihrer Männer zu sein. Kommandanten beschützen Männer vor dem Krieg – aber Anführer müssen ihre Männer vor Enttäuschung beschützen. Du bist kein Anführer. Du hast versagt.“
Duncan nahm einen tiefen Atemzug. Ein Teil von ihm konnte nicht anders und spürte das Enis recht hatte, so sehr er es auch hasste das zuzugeben. Er hatte versagt und seine Männer im Stich gelassen. Es war das schlimmste Gefühl seines Lebens.
„Bist du deswegen gekommen?“ antworte Duncan endlich. „Um dich hämisch über deine Täuschung zu freuen?“
Der Junge lächelte ein hässliches, böses Lächeln.
„Du bis nun mein Untertan“, antwortete er. „Ich bin dein neuer König. Ich kann überall da hingehen, wo ich möchte, zu jedem Zeitpunkt und aus jedem Grund oder auch aus gar keinem Grund. Vielleicht gefällt es mir einfach dich anzugucken, wie du so da liegst, hier im Kerker, so gebrochen und klein.“
Duncan atmete und jeder Atemzug tat weh, er war kaum in der Lage seine Wut zu zügeln. Er wollte diesem Mann mehr schaden als jedem anderen, den er in seinem Leben getroffen hatte.
„Sag mir“, sagte Duncan und versuchte ihn zu verletzen. „Wie fühlte es sich an deinen Vater zu ermorden?“
Enis Ausdruck wurde hart.
„Nicht so gut, wie es sich anfühlen wird, wenn ich dich am Galgen sterben sehen werde“, antwortete er.
„Dann tu es jetzt“, sagte Duncan und meinte es so.
Enis lächelte und schüttelte den Kopf.
„Es wird nicht so leicht für dich werden“, antwortete er. „Ich will dich zuerst leiden sehen. Ich will, dass du zuerst siehst was aus deinem geliebten Land geworden ist. Deine Söhne sind tot. Deine Kommandanten sind tot. Anvin und Durge und all deine Männer am südlichen Tor sind tot. Millionen von Pandesier sind in unser Land eingefallen.“
Duncans Herz sank bei den Worten des Jungen ab. Ein Teil von ihm fragte sich, ob dies ein Trick war, aber er fühlte dennoch, dass all dies stimmte. Er fühlte wie er mit jedem weiteren Wort tiefer in den Boden sank.
„All deine Männer sind eingesperrt und Ur wird vom Meer aus bombardiert. So, du siehst nun, du hast kläglich versagt. Escalon ist schlimmer dran, als je zuvor und dem Einzigen, dem du die Schuld daran geben kannst, bist du selbst.“
Duncan zitterte vor Wut.
„Und wie lange wird es dauern“, fragte Duncan, „bis der große Unterdrücker sich dir zuwendet? Denkst du wirklich, dass du frei sein wirst, dass du Pandesias Zorn entkommst? Dass sie dir erlauben werden König zu sein? Und zu regieren, so wie es dein Vater einst tat?“
Enis lächelte resolut.
„Ich weiß, dass sie das tun werden“, sagt er.
Er lehnte sich näher zu ihm, so nah, dass Duncan seinen schlechten Atem riechen konnte.
„Ich habe ihnen einen Handel vorgeschlagen. Einen sehr speziellen Handel, um meine Macht zu sichern, einen Handel, der zu groß war, um ihn abzulehnen.“
Duncan traute sich nicht zu fragen, was es war, doch Enis lächelte bereits breit und lehnte sich näher zu ihm.
„Deine Tochter“, flüsterte er.
Duncans Augen öffneten sich weit.
„Dachtest du wirklich du könntest ihren Aufenthaltsort vor mir geheim halten?“ presste Enis hervor. „Gerade in diesem Moment wird sie von Pandesiern umzingelt. Und dieses Geschenk wird meine Macht sichern.”
Duncans Fesseln klirrten, ihr Echo hallte von den Wänden wieder, als er mit aller Macht versuchte sich zu befreien und anzugreifen. Er wurde von einer Verzweiflung erfüllt, die größer war als er ertragen konnte.
„Warum bist du gekommen?“ fragte Duncan, er fühlte sich viel älter und seine Stimme brach. „Was willst du von mir?“
Enis grinste. Er war lange still, dann seufzte er.
„Ich glaube, dass mein Vater etwas von dir wollte“, sagte er langsam. „Er hätte dich nicht rufen lassen und dir diesen Handel vorgeschlagen, aber er hat es getan. Er hat dir einen großen Sieg mit den Pandesiern versprochen – und im Gegenzug, hätte er etwas verlangt. Was? Was ist es? Welches Geheimnis versteckte er?“
Duncan starrte zurück, resolut, es interessierte ihn nicht mehr.
„Dein Vater hat sich etwas gewünscht“, sagte er und mit seinen Worten rieb er Salz in die Wunde. „Etwas Ehrenvolles und Heiliges. Etwas, bei dem er nur mir vertraute. Nicht seinem eigenen Sohn. Und ich weiß nun warum.”
Enis grinste höhnisch und wurde rot.
„Wenn meine Männer für etwas gestorben sind“, fuhr Duncan weiter fort, „dann war es für Ehre und Vertrauen – etwas, was ich nie brechen würde. Und deswegen, wirst du es nie erfahren.“
Enis Gesicht verdunkelte sich und Duncan genoss es ihn wütend zu sehen.
„Du würdest immer noch das Geheimnis meines toten Vaters hüten, der Mann der dich und all deine Männer verraten hat?“
„Du hast mich verraten“, korrigierte ihn Duncan, „nicht er. Er war ein guter Mann, der einmal einen Fehler gemacht hat. Du auf der anderen Seite bist nichts. Du bist nur ein Schatten deines Vaters.“
Enis machte ein böses Gesicht. Er richtete sich langsam zu seiner vollen Größe auf, lehnte sich nach vorne und spie neben Duncan aus.
„Du wirst mir sagen, was er wollte“, beharrte er. „Was – oder wen er – versuchte zu verstecken. Wenn du dies tust, könnte ich gnädig sein und dich einfach freilassen. Wenn nicht, werde ich dich nicht nur persönlich zum Galgen begleiten, sondern ich werde auch dafür sorgen, dass du den grausamsten vorstellbaren Tod stirbst. Es ist deine Wahl und es gibt kein Zurück. Denk gut nach, Duncan.“
Enis drehte sich um und wollte gehen, aber Duncan stieß hervor.
„Du kannst meine Antwort schon jetzt haben, wenn du möchtest“, antwortete Duncan.
Enis drehte sich, mit einem befriedigten Ausdruck auf dem Gesicht, um.
„Ich wähle den Tod“, antwortete er und schaffte es zum ersten Mal zu lächeln. „Denn der Tod ist nichts im Vergleich zu Ehre.“