KAPITEL EINS-2

1780 Words
„Natürlich habe ich das“, erwiderte Amy grinsend. Sie nahm eine große Tragetasche von der Seite der Couch, wo sie bisher außer Sicht gewesen war. Emily konnte glitzernden silbernen Stoff, glitzernde Schneeflocken und Plastikeiszapfen sehen, die oben aus der überfüllten Tasche hervorlugten. „Was ist das alles?“, rief sie aus. „Du hast intrigiert! Ihr beide!“ Sie kitzelte Chantelle an den Rippen und das kleine Mädchen kreischte. Dann wand sie sich aus Emilys Fingern und eilte zu Amy. Sie griff nach der Tasche und spähte hinein. „Das ist so cool“, sagte sie zu Amy. „Können wir jetzt anfangen?“ Amy sah Emily an, als wartete sie auf deren Zustimmung. „Schau mich nicht an“, lachte Emily und hob ihre Hände. „Ihr zwei habt offensichtlich Pläne!“ Sie eilten beide in den Korridor und begannen, Lichterketten an der Decke zu befestigen und Kunstschnee auf die Fensterscheiben zu sprühen. Emily beobachtete sie von der Tür aus, ihre Schulter an den Türpfosten gelehnt. Sie war jetzt schon sehr in Weihnachtsstimmung. „Mein Rücken bringt mich um“, sagte Daniel, der sich hinter sie gestellt hatte. „Ich werde ein schönes langes Bad nehmen.“ „Gute Idee“, sagte sie. „Ruh dich aus.“ Daniel arbeitete im Moment so hart und versuchte, gut für die Familie zu sorgen. Sie wollte nicht, dass er sich ebenso verletzte wie vor kurzem sein Boss Jack. Das wäre eine Katastrophe. Er musste auf sich aufpassen. Er küsste sie auf die Wange, dann ging er nach oben, vorbei an Amy und Chantelle. „Komm schon, Mama!“, rief Chantelle. „Du musst auch helfen!“ Emily fühlte sich in diesem späten Stadium ihrer Schwangerschaft oft sehr müde. Aber sie wollte Chantelle nicht enttäuschen. Sie blickte zu Patricia hinüber, die gerade ein Designmagazin durchblätterte, während sie an ihrem Schokoladengetränk nippte. „Mama? Willst du auch helfen?“ Patricia sah überrascht aus. „Oh. Gut. Ich nehme an, das könnte ich.“ Emily grinste, insgeheim sehr erfreut darüber, dass ihre Mutter mitmachen würde. Sie wandte sich wieder an Chantelle. „Wir kommen!“ Dann gingen Patricia und sie in den Flur und durchsuchten Amys Wundertasche. Emily nahm glitzerndes Lametta heraus und begann, es um das Treppengeländer zu wickeln, während Patricia ein funkelndes Material auswählte, das sie kunstvoll um die Bilderrahmen drapierte. Es war ein wunderbarer Moment für Emily, so voller Frieden und Glück. „Wann wirst du heiraten, Amy?“, fragte Chantelle, während sie Schneeflocken mit Klebeband an die Wände heftete. „Ich habe das Datum noch nicht festgelegt“, sagte Amy lächelnd. „Ich kann mich nicht entscheiden, zu welcher Jahreszeit meine Hochzeit stattfinden soll. Oder in welchem Land.“ Chantelles Augen weiteten sich, als wäre ihr der Gedanke an eine Hochzeit in Übersee nie in den Sinn gekommen. „Du könntest in Lappland heiraten! Rentiere und weißer Schnee!” Amy lachte. „Ich dachte mehr an die Bahamas. Schildkröten ... und weißer Strand.” „Das klingt auch gut”, räumte Chantelle ein. „Wenn du Hilfe brauchst, um sie zu planen”, sagte Emily, „ich würde sehr gerne helfen. Du warst so großartig bei meiner Hochzeit, ich würde dir gerne diesen Gefallen erwidern.” Amy sah berührt aus. „Wirklich, Em? Das wäre das Beste. Aber ehrlich gesagt, du bist diejenige, die eine Menge Zeug zu organisieren hat, bevor ich überhaupt bereit bin zu heiraten. Du wirst das erste Mal ein Kind zur Welt bringen! Und was ist mit einem Babymoon? Dir bleibt nicht mehr viel Zeit!” Emily lachte und schüttelte den Kopf. „Nicht du auch noch! Ein Babymoon? Meine Ärztin hat uns auch schon gefragt, ob wir einen machen würden. Ist das so eine neue Sache?” „Was ist ein Babymoon?”, stimmte Chantelle ein. Amy sah geschockt aus. „Ich kann nicht glauben, dass keiner von euch davon gehört hat. Ein Babymoon ist die letzte Chance für die zukünftigen Eltern, einen Urlaub zu machen, bevor die Anforderungen eines Neugeborenen ihre ganze Zeit beanspruchen.” „Ich habe noch nie etwas so Blasiertes gehört”, sagte Patricia schnaubend. Emily ignorierte ihre Mutter und bemerkte, dass Chantelle ein wenig besorgt wegen der Aussicht war, dass sie und Daniel für ein paar Tage weg sein würden. Sie hatte immer Schwierigkeiten, wenn sie sie verließen, weil ihr schrecklicher Lebensanfang sie gelehrt hatte, dass, wenn Leute weggingen, sie nicht unbedingt wieder nach Hause zurückkamen. Es war solch eine harte Arbeit, die Narben, die Sheilas Erziehung verursacht hatte, zu heilen. „Mach dir keine Sorgen, Liebes”, sagte Emily zu ihr. „Ich darf nicht mehr fliegen, also würde es nicht viel Sinn machen.” „Emily!”, rief Amy ungläubig. „Der Punkt ist, dass du und Daniel eine letzte Chance für einen romantischen Ausflug bekommt. Dein Leben wird sich für immer verändern. Willst du kein letztes Hurra? Es ist ja nicht so, dass ihr weit weg fahren müsstet. Ihr könnten nach Québec City fahren. Es ist sehr schön dort zu dieser Jahreszeit.” Zum ersten Mal begann Emily wirklich darüber nachzudenken, ob ein Babymoon Spaß machen würde. Nur sie und Daniel. All die Anstrengungen, ihre Geschäfte zu führen und all die Angst vor der Geburt, für kurze Zeit hinter sich lassend. „Denkst du nicht, dass es ein bisschen knapp wird?”, fragte Emily. „Der Geburtstermin ist in drei Wochen.” „Aber nur etwa zwanzig Prozent der Babys werden am Fälligkeitstag geboren” , antwortete Amy. „Du hast dich übrigens verspätet, Emily”, sagte Patricia. „So wie auch Charlotte. Und ich auch. Wenn es so ist wie bei mir, wird sie zu später kommen. Ich war 42 Wochen plus sieben Tage mit euch beiden.” „Auf keinen Fall!”, jammerte Emily. Es war ihr bisher nie in den Sinn gekommen, dass eine Schwangerschaft länger als 40 Wochen dauern könnte. „Das klingt extrem unangenehm.” „Überhaupt nicht”, antwortete Patricia. „Dein Körper weiß, was er zu tun hat. Du musst ihm vertrauen.” „Ich wusste nicht einmal, dass man so lange drüber sein kann”, sagte Amy. Patricia nickte. „Zu meiner Zeit hat man vermieden, induziert zu werden, wenn man konnte, und darauf vertraut, dass die Natur ihr Ding machen würde. Es kommt häufiger vor, als die Leute glauben. Manche Babys müssen einfach ein bisschen länger im Ofen gebacken werden.” Amy und Chantelle lachten, aber Emily wurde bei dem Gedanken mulmig. Die Schwangerschaft war anstrengend! Sie wollte nicht länger als nötig schwanger sein! Aber vielleicht hatte ihre Mutter in diesem Punkt recht. Die älteren Generationen waren viel weniger verwöhnt und pingelig. Sie hatten keine Babymoons oder ähnliches. Manchmal war die praktische, unkomplizierte Art, die Dinge anzugehen, besser. Sie dekorierten die Flure und gingen ins Esszimmer, wo sie funkelnde Schneeflocken auf allen Tischen platzierten und die Herbstthemen durch Winterthemen ersetzten. Es sah wunderschön aus und Emily wurde noch aufgeregter wegen Weihnachten. Aber die Aufregung reichte nicht aus, um sie davon abzuhalten zu gähnen. Die Dekorationsarbeiten waren ziemlich anstrengend und sie hatte in letzter Zeit nicht mehr so viel Energie wie sonst. „Ich muss mich ein bisschen ausruhen”, gestand sie. „Wenn ich im Ballsaal mitmache, könnte ich dabei einschlafen!” Sie bemerkte, dass Amy und Chantelle gegenseitig schelmische Blicke austauschten. „Was ist los?”, fragte sie und legte die Hände auf ihre Hüften. „Nichts”, sagte Amy in einem Ton, der das Gegenteil nahelegte. „Können wir es ihr zeigen?”, fragte Chantelle Amy. „Es liegt an dir. Du bist diejenige, die wollte, dass es eine Überraschung ist.” „Mir was zeigen?”, fragte Emily nach. Aber Chantelle und Amy redeten nur miteinander. Sie wurde ungeduldig. „Leute, ich möchte wissen, was das für eine Überraschung ist!”, jammerte sie. „Okay”, sagte Chantelle. „Komm mit.” Sie nahm ihre Hand und führte sie in den niedrigen Flur, der in den Ballsaal mündete. Aber anstatt geradeaus zu gehen, bog sie nach rechts ab, entlang des noch kleineren Durchgangs, der bis zu den Nebengebäuden und der Garage führte. Sie blieben an einer der Türen stehen. Emily runzelte die Stirn, sie war so neugierig. „Wir waren nicht sicher, wo wir das machen könnten”, sagte Chantelle. „Weil wir nicht eines der Pensionszimmer nehmen wollten. Dann hat Amy eines der Nebengebäude vorgeschlagen. Also ...“ Sie machte eine Pause für einen dramatisches Effekt und öffnete dann die Tür. Emily blinzelte und keuchte. Der kleine Raum war komplett umgebaut worden. Statt freigelegter Ziegelmauern war er verputzt und gelb gestrichen worden. Statt des Zementbodens war Vinyl ausgelegt worden und darüber lag ein flauschiger Teppich. Der Raum war voller Lichter - Nachtlichter und Lichterketten und sich drehende Musiklichter, die Sterne auf die Wände projizierten. „Was ist das?“, fragte Emily verblüfft. „Das Spielzimmer!“, rief Chantelle aus. Dann sprach Amy. „Wir dachten, dass es schön wäre, wenn die Mädchen abseits vom Rest der Pension einen Platz zum Spielen hätten. Irgendwo, wo sie so viel Lärm machen können, wie sie wollen, ohne die Gäste zu stören. Und irgendwo, wo sie ihre Spielsachen aufbewahren können, damit sie nicht überall rumliegen.“ Emily war so berührt. Das Zimmer war schön. Es musste jetzt nur noch mit Spielzeug gefüllt werden! „Ich liebe es, vielen Dank, Leute“, sagte sie und umarmte abwechselnd Amy und Chantelle. Sie gingen zurück ins Wohnzimmer, damit Emily sich ausruhen konnte, bevor sie mit der restlichen Dekoration weiter machten. Sobald sie sich erholt fühlte, nahmen sie die Mammutaufgabe, den Ballsaal zu schmücken, in Angriff. „Du weißt, dass noch etwas fehlt, oder?“, fragte Emily, nachdem sie die letzten Lichterketten aufgereiht hatte. „Was denn?“, fragte Chantelle. „Ein Weihnachtsbaum!“, rief Emily. Chantelles Augen wurden groß. „Ja sicher. Aber wir brauchen mehr als einen, nicht wahr? Wir brauchen einen für den Ballsaal und einen für den Flur. Und einen fürs Trevor‘s. Und das Spa. Und das Restaurant.“ „Klingt so, als ob du einen ganzen Wald brauchst“, scherzte Amy. „Wie wäre es, wenn wir alle morgen in den Wald gehen?“, schlug Emily vor. „Yvonne hat mir von einer tollen Weihnachtsbaumfarm außerhalb der Stadt erzählt. Es ist nicht die, bei der wir letztes Jahr waren, diese hier soll wirklich riesig sein. Wir könnten einen Tagesausflug daraus machen.“ „Kann Oma Patty auch mitkommen?“, fragte Chantelle. Emily schüttelte den Kopf. „Sie muss heute wieder fahren“, sagte sie. Chantelle machte einen niedergeschlagenen Eindruck. Emily hasste es, sie traurig zu sehen. „Warum fragst du sie nicht?“, schlug sie vor. Patricia hatte sie mit ihrem Besuch überrascht. Vielleicht würde sie noch bleiben, wenn sie klarstellen würden, dass sie sie auch haben wollten. Chantelle verließ den Ballsaal und rannte den Korridor entlang, wo sich Patricia im Wohnzimmer ausruhte. „Oma Patty!“, schrie Chantelle. Ihre Stimme war laut genug, dass selbst sie sie hören konnte, als sie durch das Haus watschelte und versuchte, sie einzuholen. „Kannst du morgen mit uns Weihnachtsbäume kaufen gehen?“ Emily betrat das Wohnzimmer, in dem Moment als Patricia den Kopf schüttelte. „Ich habe einen Flug gebucht, um nach Hause zu fliegen“, sagte Patricia. „Der Flieger geht heute Abend.“ „Bitte“, sagte Chantelle. Sie hockte sich neben Patricia auf die Couch und schlang ihre Arme um ihren Hals. „Ich möchte wirklich, dass du bleibst.“ Patricia war von der Zuneigung verblüfft. Sie tätschelte Chantelles Arm und sah Emily an, die in der Tür stand. Emily lächelte, berührt von der süßen Szene, von der Liebe, die Chantelle zu geben hatte, sogar denen, die sich so benahmen, als wäre ihnen nicht daran gelegen. Ihre Fähigkeit zu Vergebung und Freundlichkeit inspirierte Emily immer wieder. „Nun, ich möchte nicht länger stören“, sagte Patricia, während sie mit Chantelle sprach und ihre Worte an Emily richtete. „Du störst nicht“, sagte Emily. „Wir lieben es, dich hier zu haben. Und es ist nicht so, dass in der Pension im Moment viel los ist. Es ist die perfekte Zeit zu bleiben. Wenn du willst.“ „Bitte!“, bettelte Chantelle. Schließlich lächelte Patricia. „Okay. Ich werde bleiben und dir helfen, einen Baum zu finden.“ Emily wusste, dass Patricia gerührt war, eingeladen zu werden und nach all ihrem schlechten Benehmen und den schrecklichen Kämpfen, die sie gehabt hatten, willkommen zu sein. Emily überkam ein überwältigendes Gefühl von Dankbarkeit und sie erkannte, dass sich das Leben immer zum Besseren wenden konnte. Es schien, dass man nie zu alt war, um zum ersten Mal Weihnachtsstimmung zu empfinden!
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