„Schau mal, wer da ist, Jaxon. Es ist Onkel Koda“, sagte Stella und winkte dabei mit der kleinen Faust ihres einjährigen Sohnes. Sie war überglücklich, dass Koda zu Jaxons erstem Geburtstag gekommen war. Seit seinem Abschied vom Turnier vor anderthalb Jahren hatten sie sich nicht mehr persönlich gesehen. Zwar hatten sie in der Zwischenzwit über FaceTime Kontakt gehalten, und er hatte ihre Schwangerschaft so mitverfolgen können, doch Stella hatte ihn vermisst. Auch Kane hatte Koda durch die FaceTime-Gespräche kennengelernt, denn als der besitzergreifende Wolf, der er war, ließ er keine dieser Sitzung aus.
„Hey, Kleiner“, sagte er und zog sie in eine feste Umarmung. „Na, mein kleiner Mann, komm her zu Onkel Koda.“ Er nahm Jaxon aus Stellas Armen. „Hallo Kane.“
Kane nickte Koda lächelnd zu. Er vertraute ihm und betrachtete ihn inzwischen als Freund. „Wie war dein Flug?“
„Der Flug im Kieferwald-Jet ist immer wieder angenehm.“
„Wie läuft die Suche nach einer Gefährtin?“
Koda überlegte kurz, bevor er antwortete. Zwei Monate lang war er von Rudel zu Rudel in Texas und Mexiko gezogen, aber schließlich gab er auf, weil er sein Zuhause vermisste.
„Eh, ich habe beschlossen, es erstmal aufzuschieben. Ich habe ganz Texas und den größten Teil von Mexiko durchsucht. Zwei Monate waren das Maximum, was ich mir leisten konnte, vom Rudel weg zu sein. Nächstes Jahr werde ich es wieder versuchen.“
„Koda! Ein ganzes Jahr? Wirklich?“, tadelte Stella.
„Stella, vielleicht bleibe ich einfach ohne Gefährtin.“
„Bist du nicht. Ich weiß es. Ein guter Kerl wie du verdient eine Gefährtin.“
„Ich stimme meiner Gefährtin zu, Koda. Dein besonderes Mädchen ist da draußen.“
„Ich habe mein besonderes Mädchen schon gefunden, Kane“, sagte Koda und warf Stella einen schelmischen Blick zu.
Kane knurrte gespielt, was sowohl Stella als auch Koda zum Lachen brachte.
„Nur deshalb, Koda, lade ich alle umliegenden Rudel aus Montana sowie unsere Verbündeten aus Idaho und Wyoming zu Jaxons Geburtstagsfeier am kommenden Samstag ein. Und als Bonus werde ich ihnen sagen, dass sie alle unverpaarten Wölfinnen mitbringen sollen.“
Koda spottete: „Die Party ist in drei Tagen, Kane. Denkst du wirklich, du hast so viel Einfluss?“
„Koda, mein Rudel ist das größte in drei Bundesstaaten. Seit Stella zu uns kam, sind wir auf fünftausend Mitglieder gewachsen – alles wegen ihrer Heilfähigkeiten. Wir sind das Rudel, in dem man sein muss. Sie werden kommen.“ Kane strahlte seine Gefährtin an. Stella schüttelte nur den Kopf.
„Kane, ich werde auf die Knie fallen und dich anflehen, das nicht zu tun.“
„Wenn du das tust, streiche ich den zweiten Vornamen meines Sohnes aus seiner Geburtsurkunde. Hab etwas Stolz!“, sagte Kane.
„Jaxon Koda Silver klingt gut. Ich werde deine verdammten unverpaarten Wölfinnen treffen.“
Kane und Stella lachten laut, was Jaxon zum Kichern brachte, während er Onkel Koda fröhlich ins Gesicht tätschelte. Koda war glücklich, bei seiner erweiterten Familie zu sein. Er hatte seinen besten Freund vermisst und freute sich sehr, endlich seinen kleinen Neffen persönlich kennenzulernen.
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„Lil! Ich habe die tollsten Neuigkeiten!“, rief Emily, als sie zu ihrer besten Freundin an den Tresen des kleinen Cafés eilte, in das sie gerade hineingestürmt war.
Lillyn sah ihre Freundin an. Emilys wilde schwarze Locken fielen über ihr süß gerötetes Gesicht. „Welche Neuigkeiten?“, fragte sie, während sie Emilys Lieblingsgetränk – einen Eiskaffee mit Karamell – zubereitete.
„Das Silberklaue-Rudel hat unser Rudel zum ersten Geburtstag seines Sohnes eingeladen. Kannst du es glauben? Das wird ein Riesenspaß!“
„Es ist eine Party für ein einjähriges Kind. Wie viel Spaß kann das schon machen?“
„Nun, es mag zwar nur eine Party für ein einjähriges Kind sein, aber es werden ungebundene Wölfe werden dort sein. Wir könnten unsere Gefährten treffen!“
Lillyn starrte Emily an. Jeder Wolf wäre glücklich, Emilys Gefährte zu sein. Sie war total bezaubernd. Mit 1,65 m war sie zierlich und hatte kurvige Formen, besonders ihre üppige Oberweite und Hüften, für die so mancehr Mann sterben würde. Ihr Freund Paulo sagte, Emily habe eine Figur wie aus einem Film, was auch immer das bedeutete. Sie hatte lange schwarze Locken und volle, sinnliche Lippen. Ihre Augen waren ein ungewöhnliches Violett. Sie sagte, das läge daran, dass sie ein Mischwesen war. Ihr Vater war ein Gestaltwandler-Wolf und ihre Mutter war eine Hexe. Lillyn hingegen war mit ihren1,80 m zu groß. Ihr silberweißes Haar trug sie nun in sanften Wellen, schulterlang geschnitten. Sie war immer noch schlank, aber nicht mehr wie vor drei Jahren, als sie wie eine Steunerin aussah, bevor das Schwarzwald-Rudel sie bei sich aufnahm. Sie hatte wirklich keine Kurven, ihre Brüste waren klein und ihr Hintern war klein. Emily sagte, sie habe diesen Supermodel-Look, dass sie Kate Moss Konkurrenz machen könnte. Lillyn fühlte einfach, dass ein Mann eher jemanden wie Ems als sie wollen würde.
„Ich glaube nicht, dass mich jemand als Gefährtin wollen würde, Ems.“
„Du machst Witze, Lil. Du bist wunderschön. Ich wünschte, ich wäre so groß und schlank wie du.“
Lillyn schüttelte nur den Kopf und lächelte dabei leicht.
„Jedenfalls hat Daddy gesagt, dass du und ich zusammen mit meinen Cousinen Jessica und Maisey gehen.“
Lillyn stöhnte. Wenn es zwei Dinge gab, die sie am Schwarzwald-Rudel hasste, dann waren es Jessica und Maisey. Sie machten sie einfach unglücklich. Sie nannten sie Bohnenstange oder Eisprinzessin, wenn niemand hinsah, und machten ständig gemeine Bemerkungen über ihren ungewöhnlichen Wolf und ihr Haar. Als Töchter des Beta beschwerte sich Lillyn jedoch nie.
Sie wurde nicht mehr körperlich misshandelt. Zwei Jahre lang war sie eine Streunerin gewesen. Sie und Spirit hatten sehr schnell gelernt, wie man kämpft. Als sie das Rudel zum ersten Mal verließ, war sie tagelang in Wolfsform unterwegs, bis sie Texas hinter sich gelassen hatten. Sie waren nach Oklahoma gezogen und trafen dort eine Gruppe von Teenagern, die ebenfalls Streuner waren. Sie waren nett zu ihr und brachten ihr bei, wie man kämpft und sich das Nötigste beschafft. Darin wurde sie immer besser. Wenn sie zusätzliches Geld verdiente, kehrte sie zu den Orten zurück, an denen sie das Essen oder die Toilettenartikel gestohlen hatte, und bezahlte sie zurück. Die Arbeiter in den Geschäften waren jedes Mal erstaunt, doch sie fühlte sich stets schuldig, und dies war ihre Art, ihr Gewissen zu erleichtern. Sie blieb sechs Monate bei diesen Teenagern. Dann zog sie weiter, weil sie nicht das Leben eines Diebes führen wollte.
Auf ihren Reisen fand sie Gelegenheitsjobs, um Geld zu verdienen. Hin und wieder traf sie auf zwielichtige Gestalten, doch sie zeigte ihnen schnell, dass es besser war, sich nicht mit ihr anzulegen. Zwar war sie nicht die beste Kämpferin, doch sie war schnell. Oft konnten ihre Gegner ihre Bewegungen kaum erkennen, bevor sie zuschlug, auswich oder trat. Sie kämpfte nur so lange, bis ihr Gegner außer Atem war, und rannte dann davon.
Eines Tages sah sie, wie ein Mädchen von drei Jungen schikaniert wurde, und rannte sofort hin, um ihr zu helfen. Sie bewegte sich so schnell, dass die Jungen sich gegenseitig schlugen und schließlich zu Boden fielen. Dann packte sie die Hand des Mädchens, und zusammen rannten sie davon. Dieses Mädchen war Emily, die jüngste Tochter des Alphas. Emily brachte sie zum Schwarzwald-Rudel und erzählte ihrem Vater, was passiert war. Alpha Dennis fragte sie nach ihrer Geschichte. Lillyn berichtete ihm von dem Missbrauch durch ihre Eltern und die Kinder ihres alten Rudels und davon, dass sie eines Tages genug hatte und einfach fortging. Über ihre besonderen Fähigkeiten sagte sie jedoch nichts, da Spirit ihr geraten hatte, es zu verschweigen. Det Alpha dankte ihr und fragte, ob sie seinem Rudel beitreten wolle. Emily bat sie ebenfalls darum, und sie stimmte zu. So war sie nun seit eineinhalb Jahren Teil des Rudels und arbeitete im Brötchen & Bohnen-Café.
„Ich weiß, wie du über sie denkst, aber ich verspreche, ich lasse nicht zu, dass sie dich ärger.“, sagte Emily.
„In Ordnung. Wann brechen wir auf?“
„Morgen früh. Die Reise dauert sechs Stunden.“
„Emily, ich kann nicht einfach so weg. Ich habe meine Schichten zu arbeiten.“
„Mein Vater hat den Besitzer des Cafés angerufen. Es ist alles geregelt. Wir sind bis Sonntagabend weg und am Montagmorgen kannst du wieder arbeiten.“
Lillyn seufzte, warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass es bereits 18 Uhr war. Sie wischte die Theken und Maschinen gründlich ab. Danach schloss sie die Kasse ab und legte das Geld in den Tresor. Schließlich nahm sie ihre Sachen, griff nach Emilys Hand, und gemeinsam verließen sie das Café und schloss die Tür ab.
„Du hast Glück, dass ich dich liebe. Komm in mein Zimmer und hilf mir beim Packen. Du kannst in meinem Kleiderschrank durchstöbern und mein Party-Outfit aussuchen.“ Emily quietschte vor Aufregung und zog Lillyn mit ins Zimmer im Rudelhaus.