Zweites Kapitel. Das Verbergen des Geheimnisses.-3

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Mochte es nun zum Guten oder zum Schlimmen sein, so war das verhängnisvolle Geheimnis doch nun verborgen – die Tat war geschehen. Es lag etwas Beruhigendes in dem ersten Bewußtsein dieser einen Tatsache. Sie konnte nun gefaßter an sich selbst und an die ungewisse Zukunft denken, die vor ihr lag. Jetzt, wo das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Herrin durch den Tod getrennt worden, konnte sie auf keinen Fall erwarten, in ihrer bisherigen Stellung zu verbleiben. Sie wußte, daß Mistreß Treverton in den letzten Tagen ihrer Krankheit sie der Güte und dem Schutze ihres Gemahls dringend empfohlen hatte und sie war überzeugt, daß die letzten Wünsche der Gattin in diesem wie in allen andern Fällen von ihm als die heiligste Verpflichtung betrachtet werden würden. Konnte sie aber wohl Schutz und Güte von der Hand eines Herrn annehmen, den sie betrügen geholfen und den sie durch den soeben getanen Schritt auch noch ferner in der Täuschung zu erhalten beabsichtigte ? Schon der Gedanke an eine solche Niedrigkeit war so empörend, daß sie fast mit einem Gefühl von Erleichterung die einzige noch übrige traurige Alternative ergriff – nämlich die, das Haus sofort zu verlassen. Aber wie sollte sie es verlassen ? Dadurch, daß sie ihren Dienst förmlich kündigte und sich auf diese Weise Fragen bloßstellte, durch die sie ganz gewiß in Angst und Verwirrung gesetzt würde ? Konnte sie es wagen, nach dem, was sie getan, wieder ihrem Herrn gegenüberzutreten, da doch seine ersten Fragen ganz gewiß sich auf ihre Herrin bezogen, da er sich ganz bestimmt nach den letzten betrübenden Einzelheiten und nach dem geringfügigsten Wort erkundigte, welches während der Sterbeszene, deren alleinige Zeugin sie gewesen, gesprochen worden ? Sie fuhr, als die sichern Folgen, wenn sie sich diesem furchtbaren Verhör aussetzte, ihr in immer dichteren Massen vor die Augen traten, empor, nahm ihren Mantel von seinem Nagel an der Wand und horchte, plötzlich von Argwohn und Furcht erfüllt, an ihrer Tür. Hatte sie Tritte gehört ? Ließ ihr Herr sie vielleicht schon holen ? Nein, alles war still draußen. Einige Tränen rollten über ihre Wangen, während sie den Hut aufsetzte und fühlte, daß sie durch die Ausführung dieser einfachen alltäglichen Verrichtung der letzten und vielleicht schwersten der grausamen Notwendigkeiten gegenübertrat, in welche das Verbergen des Geheimnisses sie verwickelt hatte. Es ließ sich nicht ändern, sie mußte es auf die Gefahr ankommen lassen, alles zu verraten, oder die doppelte Prüfng auf sich nehmen, Porthgenna Tower zu verlassen und zwar es heimlich zu verlassen. Heimlich – ohne ein Wort an ihren Herrn, ohne auch nur eine schriftliche Zeile, um ihm für seine Güte zu danken und ihn um Verzeihung zu bitten. Sie hatte ihr Pult aufgeschlossen und aus demselben ihre Börse, einige Briefe und ein kleines Gesangbuch genommen, ehe ihr diese Erwägungen einfielen. Dieselben veranlaßten sie, mit dem Wiederschließen des Pultes innezuhalten. „Soll ich schreiben“, fragte sie sich selbst, „und den Brief hier lassen, damit er gefunden werde, wenn ich fort bin ?“ Ein wenig weiteres Nachdenken bestimmte sie, diese Frage mit Ja zu beantworten. So rasch als ihre Feder die Buchstaben formen konnte, schrieb sie einige Zeilen, an Kapitän Treverton gerichtet, in welchen sie bekannte, daß sie ihm ein Geheimnis verschweige, mit dessen Mitteilung sie beauftragt gewesen, indem sie hinzufügte, sie sei fest überzeugt, daß dadurch, daß sie unterlassen, diese Pflicht zu erfüllen, weder ihm noch irgend jemand, für den er sich interessiere, ein Nachteil erwachsen werde. Sie schloß, indem sie ihn noch um Verzeihung bat, daß sie das Haus heimlich verließe, und als letzte Gunst begehrte, daß man keinerlei Nachforschungen nach ihr anstelle. Nachdem sie dieses kurze Briefchen versiegelt und auswendig den Namen ihres Herrin darauf geschrieben, legte sie es auf ihren Tisch, horchte dann wieder an der Tür, und nachdem sie sich überzeugt, daß noch niemand auf den Füßen war, begann sie die Treppe von Porthgenna Tower zum letzten Male hinabzugehen. Am Eingange des Korridors, der nach der Kinderstube führte, blieb sie stehen. Die Tränen, welche sie, seitdem sie ihr Zimmer verlassen, unterdrückt, begannen wieder zu fließen. So dringend ihre Gründe auch waren, ihre Flucht, ohne einen Augenblick Zeit zu versäumen, auszuführen, so näherte sie sich doch mit der seltsamsten Inkonsequenz einige Schritte der Kinderstubentür. Ehe sie noch weit gekommen war, schlug ein leichtes Geräusch in dem untern Teile des Hauses an ihr Ohr und hemmte sofort ihr ferneres Vorschreiten. Während sie so zweifelhaft dastand, stieg der Kummer in ihrem Herzen – ein größerer Kummer, als welchen sie bis jetzt verraten – unwiderstehlich auf ihre Lippen und entrang sich denselben durch tiefes keuchendes Schluchzen. Das Geräusch desselben schien sie zum Bewußtsein der Gefahr ihrer Lage, wenn sie noch einen Augenblick länger bliebe, aufzurütteln. Sie eilte deshalb wieder nach der Treppe, erreichte unaufgehalten die Küchenetage und ging zu der Gartentür hinaus, welche der Diener ihr bei der Morgendämmerung geöffnet hatte. Als sie die nächste Umgebung von Porthgenna Tower hinter sich hatte, lenkte sie, anstatt den nächsten Weg über das Moorland, der nach der Landstraße führte, einzuschlagen, ihre Schritte nach der Kirche, blieb aber, ehe sie dieselbe erreichte, an dem öffentlichen Brunnen der Nachbarschaft stehen, der hier in der Nähe der Fischerhütten des Dorfes Porthgenna gegraben worden. Nachdem sie sich vorsichtig umgeschaut, ließ sie den kleinen rostigen Schlüssel, den sie mit aus dem Myrtenzimmer gebracht, in den Brunnen fallen, eilte dann weiter und ging in den Kirchhof hinein. Hier lenkte sie ihre Schritte unmittelbar nach einem der Gräber, welches durch einen kleinen Zwischenraum von den übrigen geschieden war. Auf dem zu Häupten desselben stehenden Steine standen folgende Worte: Gewidmet dem Andenken an Hugh Polwheal Gestorben in seinem 26. Lebensjahr. Der Tod ereilte ihn durch den Sturz eines Felsens in dem Porthgenna-Schacht am 17. Dezember 1823. Nachdem Sara von dem Gras auf dem Grabe einige Halme abgepflückt, öffnete sie das kleine Gesangbuch, welches sie aus ihrem Zimmer in Porthgenna mitgenommen, und legte die Halme sorgfältig und behutsam zwischen die Blätter. Als sie dies tat, blies der Wind das Titelblatt des Gesangbuches offen, sodaß die darauf in großen plumpen Buchstaben geschriebene Inschrift sichtbar ward: „Dies Buch gehört Sara Leeson, die es von Hugh Polwheal geschenkt erhalten.“ Nachdem sie die Grashalme zwischen die Blätter des Buches gelegt, lenkte sie ihre Schritte wieder nach dem Fußsteig zurück, der nach der Landstraße führte. Auf dem Moorland angekommen, nahm sie aus ihrer Schürzentasche die von den Schlüsseln abgeschnittenen Pergamentstreifen und warf sie vereinzelt unter das Heidekraut hinein. „Nun ist alles getan !“ sagte sie. „Gott helfe und verzeihe mir – nun ist alles getan und vorüber !“ Mit diesen Worten kehrte sie dem alten Hause und der Aussicht auf das Meer jenseits desselben den Rücken und ging weiter über das Moorland hinweg nach der Landstraße. Vier Stunden später befahl Kapitän Treverton einem Diener, Sara Leeson zu sagen, er wünsche alles zu hören, was sie ihm über die letzten Augenblicke ihrer Herrin mitzuteilen habe. Der Bote kam mit Blicken und Worten der Bestürzung und mit dem Briefe zurück, den Sara an ihren Herrn gerichtet. Sofort, nachdem Kapitän Treverton den Brief gelesen, befahl er, schleunige Nachforschungen nach der Entflohenen anzustellen. Sie war in Folge der frühzeitigen Ergrauung ihres Haares, des seltsamen, scheuen Blicks ihrer Augen und ihrer Gewohnheit, fortwährend mit sich selbst zu sprechen, so leicht zu beschreiben und zu erkennen, daß ihre Spur mit Sicherheit bis Truro verfolgt ward. In dieser großen Stadt aber ging diese Spur verloren und ward nie wieder aufgefunden. Es wurden Belohnungen ausgesetzt, die Behörden des Distrikts für die Sache interessiert, alles, was Reichtum und Ansehen tun konnten, um sie zu entdecken, ward getan, aber vergebens. Man ermittelte keinen Aufschluß, welcher auch nur einen Verdacht in Bezug auf ihren Aufenthaltsort an die Hand gegeben, oder auch nur im mindesten zur Aufklärung über die Beschaffenheit des in ihrem Briefe angedeuteten Geheimnisses beigetragen hätte. Man sah und hörte in Porthgenna Tower nach dem Morgen des dreiundzwanzigsten August achtzehnhundertundneunundzwanzig von ihr nichts wieder.
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