Kapitel 1
Alyssa
„Herzlichen Glückwunsch, Alyssa. Ich hoffe, du und Isaac seid glücklich miteinander“, sagt meine Mutter mit emotionsgeladener, zärtlicher Stimme, während sie mich fest umarmt.
„Danke, Mama.“ Ich drücke sie sanft, aber halte sie auch fest. Aus Angst, dass sie hinfällt, wenn ich abrupt loslasse. Sie ist zu krank, um jetzt zu stehen, aber sie war schon immer eine starke, sehr sture Frau. Sie würde niemals jemanden hier sehen lassen, dass es ihr nicht gut geht.
Schließlich lasse ich sie los und Gray, mein immer wachsamer Bruder, nimmt vorsichtig ihren Arm und hilft ihr in einen Stuhl.
„Grayson, ich kann mich selbst hinsetzen“, protestiert sie mit einem spielerischen Trotz in ihren Augen, während sie ihm einen gespielten bösen Blick zuwirft.
Er lächelt warm. „Ich weiß, dass du das kannst, Mama“, murmelt er und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er sich zu mir wendet. „Wenn dein Mann dir jemals wehtut, stecke ich meinen Fuß so weit in seinen Arsch, dass er ihn schmecken kann.“
An seinem Tonfall merkt man, dass er es absolut ernst meint. Aber er muss sich keine Sorgen machen.
Ich lache und küsse meinen Bruder auf die Wange. „Nicht nötig so furchteinflößend zu sein, großer Bruder. Isaac würde mir niemals wehtun. Er liebt mich zu sehr“, sage ich selbstbewusst. Mein Herz schwillt vor Zuneigung für meine Jugendliebe an, die jetzt mein Ehemann ist. Trotz der Herausforderungen, die wir gemeistert haben, ist er mein Seelenverwandter, und er hat seine Liebe zu mir immer wieder bewiesen.
Als er mich bat, ihn zu heiraten, war ich die glücklichste Frau auf dem Planeten. Und jetzt sind wir verheiratet. Ich habe offiziell den Titel beansprucht. Ich bin jetzt die Frau von Isaac Carter.
Als die Zeit für unsere Abreise in die Flitterwochen näherrückt, verabschiede ich mich von unseren Gästen. Wir haben die meisten Leute aus unserer kleinen Stadt eingeladen, aber ehrlich gesagt war es mir nur wichtig, dass meine Mutter, mein Bruder und meine zwei besten Freundinnen, Chelsea und Ashley, bei meiner Hochzeit waren.
„Habt eine tolle Zeit!“, sagt Chelsea und umarmt mich fest. Sie riecht immer süß, wie Beeren. Ich nehme an, es kommt von dem Shampoo, das sie benutzt, um ihr blondes Haar so üppig und perfekt aussehen zu lassen. Aber es könnte auch einfach ihre lebendige Persönlichkeit sein.
Als Nächstes umarme ich Ashley, ihre haselnussfarbene Haut leuchtet richtig unter den hellen Lichtern. „Vergiss nicht, mir ein paar Fotos zu schicken. Ich kann es kaum erwarten, nächsten Sommer einen Freund zu haben, damit wir einen Pärchenurlaub machen können“, witzelt sie. Ihre Aufregung ist ansteckend.
„Mache ich“, verspreche ich lachend. Ich freue mich schon darauf, die Erinnerungen unserer Flitterwochen mit meinen besten Freundinnen zu teilen.
Als ich sehe, dass Isaac sich von seinen Eltern verabschiedet, trete ich nach draußen, um einen Moment der Einsamkeit und auch die kühle Nachtluft zu genießen. Die Sterne funkeln über uns und verleihen unserem perfekten Hochzeitstag einen magischen Glanz.
Als ich mich gegen Isaacs Auto lehne, taucht ein Mädchen aus den Büschen an der Seite des Hauses auf. Sie richtet schnell ihr Kleid und glättet ihr Haar.
„Hey, Alyssa“, sagt sie atemlos und mit geröteten Wangen, als sie zurück ins Haus eilt.
Einen Moment später folgt ihr ein Typ, der lässig seine Hose zuzieht.
King Sterling. Einer der drei besten Freunde meines Bruders.
Er ist groß und hat Muskeln ohne Ende. Er hat dunkle, unbändige Locken, die bis zu seinen Schultern fallen, einen mittellangen Bart und eine Narbe über seinem linken Auge. Seine bernsteinfarbenen Augen sind scharf und intensiv. Sie sind in der Lage, selbst die mutigsten Männer in die Flucht zu schlagen. Die Tatsache, dass er in einer Motorradgang ist, ist nur das Sahnehäubchen, das sein beängstigendes Erscheinungsbild vervollständigt.
Als sein Blick sich auf meinen richtet, grinst er und hat ein teuflisches Funkeln in seinen Augen.
Ich verziehe das Gesicht. „Du hättest sie nicht zuerst nach Hause bringen können?“, frage ich, ohne mir Mühe zu geben, den Ekel in meinem Ton zu verbergen.
„Das macht keinen Spaß. Außerdem hätte ich den urkomischen Ausdruck auf deinem Gesicht jetzt verpasst“, neckt er mich mit seiner tiefen Stimme und klingt dabei ziemlich amüsiert.
Er schlendert herüber, lehnt sich gegen das Auto und hüllt sich in eine Wolke aus Zigarettenrauch. „Willst du einen Zug?“, fragt er und hält mir die Zigarette hin.
Hustend winke ich ab. „Nein, das ist ekelhaft“, entgegne ich. „Du solltest diese Dinger sowieso nicht rauchen. Du bekommst noch Krebs, du Idiot.“
Er nimmt einen weiteren Zug, dann lacht er tief. Der Klang seiner Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken. „Immer so moralisch überlegen. Sag mir, Alyssa. Hat er dir schon die Unschuld genommen, oder bist du noch zu haben?“
Meine Wangen erröten und verraten meine Verlegenheit. „Ähm, nein. Ich wollte bis zur Ehe warten, wie meine Eltern es getan haben“, stammele ich.
Kings Grinsen wird breiter. „Na, bist du nicht eine kleine Heilige“, sagt er spöttisch. „Wenn er dich nicht mit seinem kleinen Freund befriedigen kann, darfst du ruhig von mir träumen.“
„Das muss ich dankend ablehnen. Denn es würde mich nur zum Kotzen bringen“, schnappe ich zurück.
Wir sind zusammen aufgewachsen. Er, Nikolai und Mason haben mich immer hinter Grays Rücken gequält. Der einzige Grund, warum ich die besten Freunde meines Bruders eingeladen habe, war, weil Gray darauf bestand. Laut ihm gehören sie Familie zur Familie und verdienen es, so behandelt zu werden.
Aber ich hasse sie alle wirklich!
„Wenn es zwischen dir und Isaac nicht klappt, weißt du, dass du mich jederzeit anrufen kannst“, sagt King mit einem Achselzucken, aber seine Worte entfachen meine Wut.
Ich werfe ihm einen finsteren Blick zu. „Warum sollte es nicht klappen? Ich liebe meinen Mann und er liebt mich.“
Er nimmt einen weiteren Zug, atmet langsam aus. „Ich weiß nicht. Irgendetwas stimmt einfach nicht mit ihm. Aber wenn Gray sagt, dass er in Ordnung ist, sollten wir ihn wohl auch akzeptieren.“
Ich schnaube. „Sagt der gewalttätige Typ in einer Motorradgang. Wenn mit jemandem etwas nicht stimmt, dann mit dir.“
King ist der Typ Mann, der auf Blutvergießen steht. Jemanden zu verprügeln oder mit einem Springmesser ein Auge auszustechen, ist seine Vorstellung von Spaß. In Grays Gang, den Roten Sensenmännern, ist King als Vollstrecker bekannt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mehr Opfer hat als ein Serienmörder. Aber weil sie unsere Kleinstadt beschützen, wagt es niemand, ein Wort über seine Verbrechen zu verlieren.
King lacht nur über meine Worte. „Ne, Kätzchen, ich bin gewalttätig, weil ich es sein muss. Dein erbärmlicher Ehemann ist aber ein Typ, der absichtlich nach Ärger sucht.“
Was soll das bedeuten? Ich kann es mir nicht erklären, aber beschließe, es auf sich beruhen zu lassen. Dies ist meine Hochzeitsnacht und ich werde nicht zulassen, dass er oder jemand anderes sie ruiniert.
„Was ist los, Kätzchen? Bringe ich dich in Rage?“, fragt er neckend. Ich drehe mich von ihm weg, damit er nicht sieht, wie sehr er mich aufregt.
Er weiß, dass ich diesen verdammten Spitznamen hasse. Aber er hat nicht aufgehört, mich so zu nennen, seit wir klein waren.
„Ich habe dir gesagt, dass du mich nicht mehr so nennen sollst“, murmle ich und versuche, meine Stimme ruhig zu halten.
„Und ich habe dir gesagt, dass ich niemals aufhören werde, dich so zu nennen.“
Ich knirsche mit den Zähnen und spüre, wie meine Frustration steigt. „Du bist so ein Arschloch. Warum ist das überhaupt mein Spitzname?“
„Weil du immer deine Krallen ausgefahren hast. Aber wenn es Zeit ist, zu kratzen und zu beißen, bist du praktisch harmlos.“
Ein bitteres Lachen entweicht mir, als ich mich wieder zu ihm umdrehe. „Fick dich! Ich könnte dir die Augen auskratzen, wenn ich wollte.“
„Sicher, das kannst du, Kätzchen“, sagt er wieder und grinst, nur um mich noch mehr zu ärgern. „Aber falls diese Krallen nicht tief genug eindringen, denk daran, dass du immer mich, Niko und Mace rufen kannst, falls du in Schwierigkeiten bist.“
Warum sagt er das ständig? Ich brauche sie nicht. Ich habe sie nie gebraucht. Nicht einmal, als mein Vater ermordet wurde. Ich habe nie vor jemandem geweint und meine Tränen immer im Stillen getrocknet.
Genau so, wie mein Vater es von seinem starken Mädchen gewollt hätte.
„Er hat recht, Süße. Du kannst uns rufen, wann immer du uns brauchst“, fügt Nikolai hinzu, der aus dem Haus kommt und sich zu uns gesellt. Mace erscheint direkt hinter ihm.
Na, klasse! Jetzt sind alle drei Idioten vereint.